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Hauptseite » 2008 » September » 30 » "Jedes Bush-Regierungsjahr kostet 100 Milliarden"
"Jedes Bush-Regierungsjahr kostet 100 Milliarden"
08:40
www.welt.de - 29.09.2008 12:20
 

In Washington hat das amerikanische Repräsentantenhaus eine Notsitzung abgehalten, um über die US-Finanzkrise zu beraten. Ein 700-Miliarden-Dollar-Paket soll auf den Weg gebracht werden. Die risikoreiche Abstimmung steht noch aus. Gegner des Vorhaben finden sich auf beiden Seiten.

Sonntag Mitternacht ist normalerweise der stillste Augenblick in Washington. Nicht an diesem 28. September. In tiefer Nacht an diesem Sonntag, Punkt null Uhr, tritt das amerikanische Repräsentantenhaus zur Notsitzung zusammen. Die Abgeordnete der Demokraten Louise Slaughter aus New York eröffnet die Debatte. „Ich bedauere, dass das Parlament unter so unangenehmen Umständen zusammentreten muss.“ Ihr republikanischer Kollege David Dreier aus Kalifornien wird es nach ihr wesentlich schärfer formulieren: „Herr Vorsitzender, wie so viele hier bin ich außer mir, dass wir uns jetzt hier treffen müssen.“ Es gehe nun, sagt die Abgeordnete Slaughter, darum, die schlimmsten Folgen „von sieben Jahren Deregulierung unter Bush abzuwenden“. Der Preis: Siebenhundert Milliarden Dollar. Für jedes Regierungsjahr einhundert Milliarden. Das sei so, erregt sich der Abgeordnete Dreier, weil „einige wenige weit über ihre Verhältnisse lebten“. Er meint mit den Wenigen nicht Bush. Wen meint er?

Die Abgeordnete Sheila Jackson Lee aus Houston verwahrt sich gegen die Formulierung in der Annahme, Dreier habe Minderheiten gemeint, sprich Schwarze. Unter Konservativen ist der Vorwurf gängig, das Kommunalinvestitionsgeetzes von 1979 habe bei den Hypothekenbanken die Entwicklung riskanter Finanzinstrumente in Gang gesetzt. Mit dem Gesetz hatten die Demokraten seinerzeit die halbstaatlichen Hypothekenbanken angewiesen, einen gewissen Prozentsatz ihrer Hypotheken zu günstigen Konditionen an Problemfamilien in Gettos auszureichen.

Jetzt werden die Zemtentschuhe rausgeholt

Dreier präzisiert, mit den Übergeschnappten habe er die Wall Street-Manager gemeint. Die amerikanischen Kleinunternehmer müssten die Chance behalten, den amerikanischen Traum zu verwirklichen. „Ich freue mich aber, dass Gewerkschaftsfunktionäre nun nicht automatisch Sitz und Stimme im künftigen Notfallfonds erhalten. Ich freue mich sehr, dass Richter keine Chance haben werden, die Märkte zu stören, indem sie willkürlich Zinssätze auf Hypotheken festlegen. Und ich freue mich außerordentlich, dass Vorstände, die bisher goldene Fallschirme erhielten, nun Zementschuhe angezogen bekommen, die sie auf den Boden der Tatsachen zurückholen.“

Zementschuhe! Der Linksaußen Dennis Kucinich, ewiger Präsidentschaftsbewerber des linken Flügels der Demokraten, hält anschließend eine flammende Rede gegen das schuldenbasierte Wirtschaftssystem. Sein Zorn entspricht demjenigen Dreiers. Er, ein Sozialist, so weit es solche in den USA gibt, endet mit dem Satz: „Bei uns geht es jetzt zu wie in China.“ Er meint das als Anklage. Es ist in dieser Nacht nicht ganz leicht, auseinanderzuhalten, welcher Redner linksliberal und welcher konservativ ist. Im Zorn reden sie alle gleich.Die Abstimmung wird nicht ganz risikolos sein. Es gibt Gegner des Gesetzes, in beiden Fraktionen. Zu Wort melden sich heute Nacht die Abweichler der Demokraten. Brad Sherman aus Kalifornien hat noch die Zeit gefunden, eine der bei Rednern beliebten Stelltafeln zu fertigen und neben dem Rednerpult zu platzieren. Dort steht in den FDP-Farben gelb auf blau: „Kein überhastetes Gesetz!“ Vierhundert Ökonomen, ruft Sherman, hätten davor gewarnt, ein schlechtes Gesetz durch den Kongress zu peitschen. „Gebt uns eine Woche Zeit, ein gutes Gesetz zu schreiben!“ Seine Parteifreundin Marcy Kaptur aus Ohio findet, das Paket sei unnötig, ja es könne sogar eine Besserung der Lage verhindern. Die aktuelle Krise sei nicht so gravierend wie die Sparkassenkrise der achtziger Jahre. Eine Billion Dollar auszugeben, um wertlose Papiere zu kaufen, löse nicht die Hypothekenkrise. Kaptur redet höflich, und dankt dem Sitzungsleiter „sehr, sehr herzlich für die eingeräumten weiteren zehn Sekunden Redezeit“. Das war nicht ironisch gemeint. Selbst um halb eins Uhr früh am Montag, inmitten eines drohenden Bankenkollapses, wahrt das Parlament die Form.Es ist Wahlkampf, und er ist unentrinnbar mit dem Gesetzesvorhaben verbunden, auf manchmal verschlungene Weise. Harry Reid, Fraktionschef der Demokraten im Oberhaus, sagte am Sonntagabend: „Beide Kandidaten haben Vorschläge eingereicht, und ich bin dankbar dafür. Sie haben beide heute Morgen gesagt, dass sie das Paket mitragen.“ Noch am Freitag hatte Reid gesagt, es sei störend und hinderlich, wenn die Kandidaten sich einmischten. Aber wer zählt die geschlagenen Haken und Flip-Flops dieser Woche?Am Sonntag war es für Reid leicht, Dank zu sagen. Da stand Barack Obama ja schließlich im täglichen Gallup-Stimmungsbarometer bei 50 Prozent, gegenüber McCains 42. Die Angst, der selbsternannte Revolutionär McCain könne Obama in der Krise vielleicht doch gefährlich werden, war vom Tisch. Die Demokraten unterstrichen stolz, dass sie den „Blankoscheck für den Finanzminister“, den knappen Gesetzentwurf der Regierung zum Notpaket vom vergangenen Montag mit seinen fast diktatorischen Vollmachten, „mit verlässlichen Kontrollen, mit Schutzvorkehrungen für die Steuerzahler und mit Hilfen für die Hausbesitzer versehen haben“. Dasselbe nimmt für die Republikaner nach Mitternacht ebenso entschieden auch der Abgeordnete Dreier in Anspruch.Um 1.04 Uhr morgens, 7.04 Uhr MEZ, wird die Sitzung geschlossen. Die Abgeordneten bekommen nach einem durchgearbeiteten Wochenende sechs Stunden Schlaf. Um acht Uhr früh Ortszeit, 14.00 MEZ, treten sie zur weiteren Debatte und zur Abstimmung zusammen. Es geht darum, der New Yorker Börse zuvorzukommen. Sie öffnet um 15.30 Uhr MEZ.Panik herrscht freilich nicht. Obama hielt am Sonntagmittag in Detroit eine Rede zur Krise. Er klagte Bush an, aber sein Resümee ging so: Ich weiß, dass das schwere Tage für uns alle sind. Aber ich weiß auch: Wir finden einen Ausweg. Das liegt uns Amerikanern im Blut. Wir haben schwere Zeiten schon vorher erlebt. Wir hatten die Sklaverei, wir hatten die große Wirtschaftskrise der 30er Jahre, wir hatten Kriege – und immer haben wir einen Ausweg gefunden, und kamen stärker aus der Krise, als wir hineingegangen sind. Das ist so, weil wir immer nach unserem Grundsatz leben: In Amerika wird Schicksal nicht auferlegt, sondern hier gestalten wir unser Schicksal selbst.“

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