Die Beitragssätze der Krankenversicherungen liegen zwischen 13 und 16 Prozent. Der Gesundheitsfonds soll das bald vereinheitlichen, Kassenexperte Jürgen Wasem rechnet mit Beiträgen von 15,5 bis 15,7 Prozent. Er plädiert daher im Gespräch mit WELT ONLINE für eine Verschiebung des Fonds um ein Jahr.
WELT ONLINE: Herr Professor Wasem, an diesem Montag kommt der Schätzerkreis zusammen, der den künftigen einheitlichen Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung vorschlägt. Auf welche Kosten müssen sich die Versicherten nun demnächst einstellen?
Jürgen Wasem: Ich rechne mit einem Anstieg von heute knapp 15 auf 15,5 bis 15,7 Prozent. Wenn ein Beitragssatz von unter 15,5 Prozent herauskäme, würde mich das wundern. Das wäre dann nicht realistisch gerechnet. Ich hätte dann den Verdacht, dass dies ein politischer Beitragssatz ist, der nicht alle Kosten decken wird.
WELT ONLINE: Muss Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht auf einen hohen Beitragssatz drängen, damit der Gesundheitsfonds üppig ausgestattet starten kann?
Wasem: Es müssen auch die Interessen der Beitragszahler und der Wirtschaft beachtet werden. Ulla Schmidt ist nicht die Alleinentscheidende. Der Beitragssatz wird von der Bundesregierung festgelegt. Und da haben das Wirtschaftsministerium und das Kanzleramt ein gewichtiges Wort mitzureden.
WELT ONLINE: Der Gesundheitsfonds ist heftig umstritten, die Reform steckt voller Widersprüche. Woran liegt das?
Wasem: Der Gesundheitsfonds ist ein politischer Kompromiss zwischen CDU/CSU und SPD in der großen Koalition. Er vereint die Idee der SPD einer Bürgerversicherung für alle mit der Kopfpauschale der Union. Der Fonds ist eine Plattform, auf den beide Parteien zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen Mehrheiten aufbauen könnten. So könnte die SPD auch Privatversicherte in den Fonds einbeziehen. Auf der anderen Seite könnte die Union den Fonds als institutionelle Grundlage für ihr Prämienmodell nutzen, bei dem alle Versicherten den gleichen Beitrag zahlen.
WELT ONLINE: Bringt der Fonds mehr oder weniger Wettbewerb?
Wasem: Kurzfristig schaltet der Fonds mit dem einheitlichen Beitragssatz den Preiswettbewerb aus. Doch mittelfristig wird er die Preissensibilität der Versicherten deutlich erhöhen. Heute gibt es eine Beitragsspanne von 12,9 bis 16,2 Prozent. Das sind gewaltige Beitragssatzunterschiede. Trotzdem überleben auch die teuren Kassen, weil die Kosten für die Versicherten kaum transparent sind. Schließlich führt nicht er, sondern der Arbeitgeber den Beitrag ab. Demgegenüber ist die geplante Zusatzprämie, die die Krankenkassen erheben müssen, wenn sie mit dem Geld des Fonds nicht auskommen, für die Versicherten transparent und spürbar. Deshalb werden die Kassen auch alles unternehmen, um den Zusatzbeitrag zu vermeiden. Keiner will der Erste sein, der einen Zusatzbeitrag erheben muss.
WELT ONLINE: Was heißt das für die Leistungen der Kassen?
Wasem: Die Kassen müssen ihre Kosten senken und werden alle Leistungen, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, einschränken. Das werden die Patienten zu spüren bekommen. Mittelfristig, wenn alle Kassen Zusatzbeiträge erheben und das Modell eingespielt ist, hat auch der Qualitätswettbewerb wieder eine Chance. Das ist eine Durststrecke, die mehrere Jahre dauern könnte.
WELT ONLINE: Wann werden die ersten Zusatzbeiträge erhoben werden?
Wasem: Im ersten Halbjahr wird es keine Zusatzprämien geben, aber lange wird das nicht gut gehen. Ende 2009 werden die ersten Kassen Beiträge erheben müssen, sonst drohen Insolvenzen. Über kurz oder lang werden alle Kassen Beiträge erheben, wenn die Politik die Regelung nach der nächsten Wahl nicht wieder abschafft...
WELT ONLINE: Wie viele Kassen werden überleben?
Wasem: Die Zahl der Kassen wird sich wahrscheinlich halbieren. Wir haben ohnehin einen langfristigen Trend zu Fusionen. Ende 1992 hatten wir noch 1200 Krankenkassen, heute sind es nur noch 200. Kleine Kassen haben es im Wettbewerb schwer. Der Wettbewerb stellt erhöhte Managementanforderungen. Das wird unter dem Gesundheitsfonds noch zunehmen. Das spezifische Modell der kleinen Kasse mit niedrigem Beitragssatz wird es künftig schwer haben: Denn erstens gibt es den Einheitsbeitrag. Und zweitens ändert sich auch etwas durch den neuen Risikostrukturausgleich, der den Kassen mit vielen Kranken mehr Geld zuweist. Kassen, die heute gut dastehen, weil sie viele Gesunde haben, verlieren diesen Vorteil.
WELT ONLINE: Kassenvertreter plädieren für eine Verschiebung des Fonds oder einen virtuellen Probelauf. Eine gute Idee?
Wasem: Ja, das wäre gut. Die eigentliche Fondswirkung sollte zunächst simuliert werden. Bei anderen Änderungen im Gesundheitswesen, die weniger einschneidend waren, haben wir sogar fünfjährige Übergangszeiten gehabt. Mindestens ein Jahr wäre auch für den Gesundheitsfonds angemessen. Die Unsicherheiten für die Krankenkassen sind zu groß. Keine weiß, wie viel sie letztlich aus dem Fonds erhalten werden.
WELT ONLINE: Wie lange bleibt der einmal festgelegte Beitragssatz stabil? Müssen wir schon bald mit einem Beitrag über 16 Prozent rechnen?
Wasem: Das Modell ist so konzipiert, dass der Beitragssatz nicht ständig erhöht wird. Die Zusatzprämien sollen die steigenden Gesundheitsausgaben decken. Erst wenn die Beiträge nur noch 95 Prozent der Gesundheitsausgaben decken, muss der Beitragssatz angepasst werden. Das wird ein paar Jahre dauern. Wir reden schließlich über Ausgaben von acht oder neun Milliarden Euro. Auch wenn der Beitragssatz nicht steigt, kommen zusätzliche Einnahmen herein. Die normalen Lohn- und Rentenerhöhungen führen auch zu Zusatzeinnahmen für den Gesundheitsfonds.
WELT ONLINE: Kritiker sehen in dem Fonds ein „bürokratisches Monster“…
Wasem: Der Fonds selbst wird nur von zwei Dutzend Mitarbeitern verwaltet. Was aufwendig wird, ist das Zusatzbeitragssystem. Heute gibt es bei den Krankenkassen für Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose keine individuellen Beitragskonten. Die braucht man nicht, weil Arbeitgeber, Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit die Beiträge entrichten. Doch ein Zusatzbeitrag ist sehr aufwendig, denn dafür müssen für mehr als 50 Millionen Mitglieder Beitragskonten eingerichtet werden. Nach Berechnungen der Krankenkassen kostet das im Monat mindestens 2,50 bis drei Euro je Mitglied.
WELT ONLINE: Bereitet der Gesundheitsfonds den Weg in die Staatsmedizin?
Wasem: Diese Befürchtung ist übertrieben. Auch heute sind die Kassen nicht autonom. Es gibt schon einen Finanzausgleich, bei dem die Kassen rund 92 Prozent ihrer Einnahmen abgeben. Das kommt ohne großen Fonds aus. Künftig werden es 100 Prozent sein, das ist kein fundamentaler Unterschied. Ärgerlich ist die Härtefallregelung, die die Höhe des Zusatzbeitrags begrenzt. Heute kann die Kasse den Beitragssatz beliebig erhöhen, künftig ist der Zusatzbeitrag auf ein Prozent gedeckelt. Das ist ein Schritt in Richtung staatliches Budget.
WELT ONLINE: Darin erschöpft sich die Kritik an der Härtefallregelung aber nicht…
Wasem: Ja, die Härtefallregelung ist völlig verkorkst. Kein Mitglied soll mehr als ein Prozent seines Einkommens zahlen müssen. Das Geld, das dann fehlt, muss die Kasse durch höhere Zusatzbeiträge bei den Besserverdienern einsammeln. Diese Regelung benachteiligt die Kassen mit vielen Niedrigverdienern und verzerrt den Wettbewerb. Die Regionalkassen im Osten werden davon betroffen sein, Innungskassen und einige AOKs. Die Zusatzprämie sagt dann nichts mehr darüber aus, wie gut eine Kasse wirtschaftet, sondern nur, wie viele Arme sie hat.