Beim Absturz eines Jets starben 70 Menschen, darunter Mario. 20 Jahre später schwanken Opfer und Hinterbliebene zwischen Schmerz, Enttäuschung über ausbleibende Entschädigungen und neuer Lebensfreude. Das Rettungswesen in Deutschland hat derweil seine Lektion gelernt. Es ist heute besser auf Katastrophen vorbereitet und steht traumatisierten Opfern zur Seite.
Das Unglück, welches das Leben so vieler Menschen veränderte, geschah in Sekundenschnelle. Rund 300.000 Schaulustige schauten gerade zum Himmel und verfolgten, wie sich Jets der italienischen Militärstaffel "Frecce Tricolori" zur spektakulären Abschlussfigur "durchstoßenes Herz" formierten. Da kollidierten um 15.44 Uhr drei Maschinen und stürzten ab. Ein Jet raste als Feuerball mitten ins Publikum. Das Volksfest endete in einer Flammenhölle. Hunderte erlitten schwerste Verbrennungen und andere Verletzungen.
Marliese Witt musste sechs Tage der Ungewissheit erleiden, ehe bei einer entstellten Leiche Marios Hausschlüssel gefunden wurde. Trost findet die 57-Jährige bis heute in einer Nachsorgegruppe. Opfer, Hinterbliebene und traumatisierte Rettungskräfte treffen sich regelmäßig und sprechen über Alltägliches. Manchmal aber auch über Trauer, körperliche und seelische Spätfolgen wie Angstattacken und Schlafstörungen. "Ohne die Gruppe hätte ich nicht überlebt", sagt Marliese Witt.
Auch zum 20. Jahrestag am Donnerstag werden sie gemeinsam zur Airbase in Ramstein fahren. Sie werden eine Schweigeminute einlegen und bei einem Gottesdienst der Verstorbenen gedenken. Es ist immer das gleiche Ritual. Und doch ist es mit den Jahren anders geworden. "Am ersten Jahrestag hatte ich noch eine Wahnsinnswut", erzählt Marliese Witt.
Zur Wut hatten die Betroffenen allen Grund. Nicht nur wegen des riskanten Flugmanövers in Publikumsnähe, sondern auch wegen des Rettungschaos, das der Katastrophe folgte. Deutsche Notärzte wollten die Verletzten vor Ort stabilisieren, die Amerikaner brachten sie direkt in überfüllte Krankenhäuser. Nicht einmal deutsche und amerikanische Infusionssysteme passten zusammen.
Wut empfinden heute nur noch wenige Opfer. Aber Enttäuschung sei da, sagt Sybille Jatzko, die die Nachsorgegruppe als Psychotherapeutin von Anfang an ehrenamtlich begleitet. Enttäuschung darüber, dass die Unglücksursache nie vollständig geklärt worden sei. Enttäuschung, dass nur Geld für Behandlungskosten, berufliche Wiedereingliederung und Renten sowie ein kleines Schmerzensgeld geflossen seien. Dass Entschädigungsklagen abgeschmettert worden seien.
Vielleicht empfindet mancher auch Enttäuschung darüber, dass Flugschauen noch immer tödlich enden. So kamen 2002 beim Absturz eines Kampfjets im ukrainischen Lwiw 2002 über 80 Menschen ums Leben. In Deutschland wurden die Sicherheitsvorkehrungen nach Ramstein verschärft, etwa Mindestabstände zu den Zuschauern vorgeschrieben. Trotzdem starben im April bei einer Schau in Eisenach eine Frau und ein Mädchen, weil eine Propellermaschine von der Rollbahn abkam.
Und doch wurde aus den Fehlern von Ramstein gelernt. "Die Katastrophe war ein prägendes Ereignis, aus dem umfassende Lehren gezogen wurden", sagt Eric Schaefer vom Innenministerium Rheinland-Pfalz. Anders als damals sei man auf Unglücke dieser Größenordnung vorbereitet. Deutschlandweit spielen Rettungskräfte Katastrophenszenarien immer wieder durch. Auch die Betreuung traumatisierter Opfer und Hinterbliebener hat sich seither verbessert.
Marliese Witt denkt fast täglich an Mario. "Die Narbe im Herzen wird bleiben", sagt sie. Doch die 57-Jährige hat Frieden geschlossen. Sie hilft heute als Lebens- und Trauerbegleiterin Menschen in Not und genießt die Zeit mit ihrem Mann und ihrem zweiten Sohn Heiko. "Ich weiß das Geschenk des Lebens zu schätzen", sagt sie.