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Hauptseite » 2008 » August » 18 » Trinkhalle und Kiosk sterben aus
Trinkhalle und Kiosk sterben aus
09:01
www.welt.de - 18.08.2008 07:36
 

Zigaretten, Damenbinden und Pornoheftchen – der Kiosk um die Ecke hilft in der Not. Die kleinen Läden sind der letzte Hort wirtschaftlicher Unvernunft. Die Betreiber arbeiten nonstop und leben trotzdem von der Hand in den Mund. Und die Konkurrenz durch Lidl & Co nimmt zu: vor der Pleite ist nur gefeit, wer aufrüstet.

Bei dieser Frage muss Duran lachen. „Reich? Nein, reich kann man mit einem Kiosk nicht werden. Aber man wird satt.“ 16 Stunden ist ihr Laden pro Tag geöffnet, bezahltes Personal kann und will sie sich nicht leisten. „Bei uns geht es immer nur um Gewinne von ein paar Cent. Und wenn mir jemand eine Zeitschrift aus dem Regal klaut, ist der ganze Gewinn für die Zeitschriften des Tages weg“, sagt Duran, die früher im Krankenhaus den Patienten das Essen servierte.

Dabei ist ihr Wehrhahn Shop am Rande der Düsseldorfer Innenstadt schon fast der Prototyp eines Büdchens. Die 41-Jährige hat Hunderte von Produkten des täglichen Bedarfs vorrätig, sogar Nassrasierer und Damenbinden. Sie bietet frischen Kaffee, belegte Brötchen und auch Spielautomaten. Genau solchen Läden sagen die Handelsexperten der Unternehmensberatung Bain & Company eine glänzende Zukunft voraus – wenn sie sich denn zum Minisupermarkt um die Ecke entwickeln.Für die Betreiber der winzigen Fensterbüdchen aber, in denen gerade einmal der Pächter allein auf ein paar Quadratmetern Platz hat, geht es jetzt ums Überleben. „Die Zahl der Kioske in Deutschland wird sinken, wir bekommen eine Konsolidierung“, glaubt Rudolf Pritzl, Partner bei Bain & Co. Die Unternehmensberatung hat diesen bisher kaum beleuchteten Teil des Einzelhandels untersucht, hat Betreiber, Kunden, Lieferanten und Branchenexperten befragt.

„Gefährdet sind vor allem jene Geschäfte, die weiterhin nur altbewährte Sortimente wie Zigaretten anbieten, an denen es nicht viel zu verdienen gibt. Die Betreiber, die auf den Convenience-Zug aufspringen, die mehr kleine Mahlzeiten, Tiefkühlpizzen und frische Produkte anbieten, haben eine gute Überlebenschance“, sagt Pritzl. Schließlich sind die Trinkhallen Teil des wachsenden und inzwischen 22 Milliarden Euro schweren deutschen Convenience-Marktes für das schnell zuzubereitende Essen zwischendurch und das Getränk zum Mitnehmen. Sie erzielen einen Jahresumsatz von neun Milliarden Euro, während die Supermärkte auf 30 Milliarden kommen.

Kunden wollen Schnickschnack

Auf Büdchenromantiker wie den Bochumer Kabarettisten und Schriftsteller Frank Goosen kommen allerdings wohl schwere Zeiten zu. Er behauptet, nicht nur in der Kioskhochburg Ruhrgebiet erkenne man „eine gute Bude nicht an irgendwelchem Schnickschnack, sondern an der Werbung für eine lokale Biersorte, einem Schild von Langnese-Eis und einem handgeschriebenen Schildchen ‚Hier klingeln‘“. Nach der Bain-Untersuchung allerdings wollen die Kunden durchaus Schnickschnack und eben nicht mehr die gute alte Trinkhalle mit Schiebefenster und Bedienungsklingel – auch wenn es noch fast 17.000 dieser Winzlinge gibt.

Selbst in der wunderbaren Welt der Büdchen fressen die Großen schon die Kleinen. Auch wenn nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben eigentlich viel mehr dichtgemacht werden müssten: Laut Bain verschwinden gerade einmal ein Prozent der Buden pro Jahr. Denn die hohe Betriebswirtschaft, wie sie bei Metro, Edeka, Rewe und den anderen Handelsriesen angewandt wird, ist in der Kioskbranche nicht das Wichtigste. Kriterien wie Flächenproduktivität oder Umsatz pro Mitarbeiter interessieren hier kaum jemanden. Der Laden ist immer auch Wohnzimmer, Stammtisch und Nachbarschaftstreff. So etwas findet Platz in keiner Bilanz.

In der Welt der Kleinen gibt es zudem noch keine Konzentrationsbewegung. Während im Lebensmittelhandel die fünf größten Anbieter schon über 70 Prozent des deutschen Marktes beherrschen, lassen sich Marktanteile bei den Seltersbuden kaum berechnen, so klein sind sie. Kioskbetreiber sind Einzelkämpfer: 88 Prozent betreiben, wie Elif Duran in Düsseldorf, nur einen einzigen Laden.

Deshalb regiert die Selbstausbeutung, Tausende Unternehmer krebsen am Existenzminimum herum – wo gibt es das sonst? Sieben Tage pro Woche, oft sechzehn Stunden pro Tag stehen die Budenmänner und Budenfrauen hinter der Kasse. „Sie brauchen die langen Öffnungszeiten, um überhaupt den notwendigen Tagesumsatz hereinzubekommen. Wenn man sich die Produktivität und den Stundenlohn ausrechnen würde, müsste man wohl die meisten Kioske schließen“, meint Berater Pritzl. Elif Duran hat denn auch noch gar nicht nachgerechnet: „Lieber nicht.“

Kioske leiden unter längeren Ladenöffnungszeiten

Bei ihr gilt, was auf die gesamte Sparte zutrifft: „Die meisten Kioske funktionieren nur, weil die ganze Familie mitmacht. Müssten die Betreiber Mitarbeiter bezahlen, würden sie keinen Cent verdienen“, so Pritzl. Bei Elif Duran und ihrem Mann helfen ab und zu mal Schwager und Schwägerin aus. Wirklich bezahlt werden sie dafür nicht. „Ich kaufe dann was für die Kinder, darüber freuen sie sich viel mehr.“

Viele Betreiber leiden unter den liberalisierten Ladenöffnungszeiten – besonders dann, wenn um die Ecke ein Supermarkt bis spät in die Nacht geöffnet hat. Dann verschwindet ein Wettbewerbsvorteil der Kleinen. Am vergangenen Montag etwa musste Mehmet Ali Tekgül seinen Kiosk dichtmachen. Tekgül war Gabelstapelfahrer. Als er entlassen wurde, setzte er die Abfindung und seine Ersparnisse ein, um Anfang 2006 den kleinen Laden am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg zu mieten. Gemeinsam mit seinem Bruder Erkan stand er von acht Uhr morgens bis zwei Uhr in der Früh hinter dem Verkaufstresen. Seine Ehe ging über die extremen Arbeitszeiten kaputt. Aber das Geschäft lief zunächst.

Doch dann dehnte der Kaiser’s-Supermarkt um die Ecke seine Öffnungszeiten von 20 auf 24 Uhr aus. „Da ist das Geschäft zurückgegangen“, sagt der 38-Jährige. Seine Ersparnisse sind weg, immerhin hat ihm der Eigentümer die Mietschulden erlassen unter der Bedingung, dass er den Kiosk schnell aufgibt. Tekgül glaubt zu wissen, dass in seinem Geschäft jetzt ein Vodafone-Laden eingerichtet werden soll.

Die strengen Vorschriften für den Alkoholverkauf und das Rauchen in der Öffentlichkeit macht den Kioskbetreibern zusätzlich zu schaffen. „Wenn die bei mir am Spielautomaten nicht rauchen dürfen, kommen die kein zweites Mal“, sagt Elif Duran.

Von 180.000 Euro Jahresumsatz bleibt unter dem Strich nicht viel übrig

„Die Büdchen konnten aber davon profitieren, dass die bundesweiten Handelsketten in den vergangenen Jahren viele kleine Supermärkte in den Wohngebieten geschlossen haben. In diesen Fällen übernahmen die Kioske einen Teil der Aufgabe als Nahversorger, gerade für ältere Leute“, sagt Olaf Roik vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE). „Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen“, ergänzt Stefan Punke, Deutschland-Geschäftsführer des Büdchenbelieferers Lekkerland.

Bain-Experte Pritzl errechnete pro Kiosk einen Durchschnittsumsatz von knapp 180.000 Euro im Jahr – wobei die Werte zwischen guten und schlechten Standorten stark schwanken: „Bei einer Durchschnittsmarge von 30 Prozent bleiben 60.000 Euro übrig. Davon muss der Betreiber aber noch Miete, Energie und schlimmstenfalls Personal bezahlen.“ Da bleibt nicht viel übrig, dennoch machen die meisten weiter.

Bei vielen der untersuchten Miniläden machten die Unternehmensberater zudem einen wenig einträglichen Produktmix aus: Zum Teil machen Büdchen bis zu 40 Prozent ihres Umsatzes mit Tabak- oder Presseprodukten. Die erzielen aber nur eine Gewinnmarge von drei bis fünf Prozent, viel zu wenig zum Überleben. Würden die Kunden mehr Eis oder Schokolade kaufen, wäre alles gut. Denn Mars, Twix oder Magnum bringen dem Verkäufer 30 bis 40 Prozent Marge.

Elif Duran lächelt. "Was meinen Sie, warum ich die Schokoriegel an den besten Stellen meines Ladens postiert habe?“ Sie ist zufrieden mit ihrem Wehrhahn Shop, trotz der vielen Arbeit: „Hier bin ich meine eigene Chefin. Eigentlich ist der Kiosk mein Leben.“

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