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Hauptseite » 2008 » Oktober » 29 » Die Industrie setzt Leiharbeiter vor die Tür
Die Industrie setzt Leiharbeiter vor die Tür
11:56
www.welt.de - 27.10.2008 13:23
 

Der nahende Abschwung wird eine Bewährungsprobe für Adecco, Randstad und Manpower. Denn die Industrie schickt Tausende Leiharbeiter nach Hause. Die Branche wagt in diesen Zeiten noch nicht mal eine Prognose für das kommende Jahr. Ver.di fürchtet gar eine Kettenreaktion.

Sie hatten sich viel Mühe gegeben. Lokalzeitungen druckten ihre Anzeigen, Mitarbeiter verteilten Handzettel und 200 blaue Luftballons schmückten den Weg in das Bewerberbüro von Randstad in einem Einkaufszentrum in Hamburg-Norderstedt. Doch trotz aller Anstrengungen hielt sich der Ansturm in Grenzen. Nur wenige Interessenten schauten vorbei, obwohl es doch so viele offene Stellen gab. "Es ist unheimlich schwer, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden", stellte die Rekrutierungs-Mitarbeiterin fest. Das war vor einem Jahr.

Mittlerweile treibt die Branche mit ihren mehr als 13.000 Verleihfirmen weniger die Sorge um neue Fachkräfte um als vielmehr die Angst vor dem Konjunktureinbruch. Neuaufträge bleiben aus oder kommen nur noch schleppend. Die Branche, die in den vergangenen fünf Jahren so stark zulegte wie kein anderer Wirtschaftszweig und zum Jobmotor für Deutschlands Wirtschaft wurde, steht vor einer Bewährungsprobe. Es sei zwar noch zu früh, "um von konkreten Auswirkungen der Finanzkrise auf unser Unternehmen oder die Branche zu reden", sagt Petra Timm von Randstad, einem der Großen der Branche. "Wir merken aber, dass die Unsicherheit bei unseren Kunden, also den Unternehmen, zunimmt." Auch die Interessengemeinschaft Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) meidet noch Katastrophenvokabular. "Die See ist zwar rau geworden. Aber noch herrscht kein Sturm", sagt Hauptgeschäftsführer Wolfgang Stolz. Randstad-Konkurrenten Adecco, Manpower und die anderen bekannten Zeitarbeitsfirmen werden schon wesentlich deutlicher: Bei Neuaufträgen sieht es mau aus. Statt immer mehr befristete Mitarbeiter nachzufragen, um den steigenden Bedarf in Spitzenzeiten flexibel zu bewältigen, geht der Trend in die andere Richtung: Die Firmen schicken Leiharbeiter massenhaft nach Hause.

Kaum ein Tag ohne Entlassungen

Kaum ein Tag, an dem nicht Unternehmen mitteilen, dass sie Zeitarbeiter vor die Türe setzen - allen voran die Autoindustrie. "Wenn alle anderen Möglichkeiten wie die Streichung von Zusatzschichten ausgeschöpft sind, muss auch der künftige Bedarf von Leiharbeit geprüft werden", heißt es etwa bei VW. Die Wolfsburger dementierten Meldungen, wonach 25.000 Leiharbeiterjobs weltweit gestrichen werden. Bei VW in Deutschland laufen Ende des Jahres die Verträge von 750 Leihkräften aus. Alleine in Thüringen befürchtet der Arbeitgeberverband Automotive Thüringen die Entlassung von 1000 Leiharbeitern. Ford schickte in Saarlouis 200 Leiharbeiter vorzeitig nach Hause. Und BMW hatte schon vor geraumer Zeit den Abbau von 5000 Zeitarbeitskräften verkündet. Auch bei MAN sind die Jobs der 1130 Leiharbeiter, die LKW montieren, gefährdet.

Ähnlich sieht es bei den Zulieferern aus. Der LKW-Spezialist Schmitz Cargobull trennte sich kürzlich erst von 500 befristeten Mitarbeitern, 500 sind es auch bei Deutz in Köln, die gehen müssen. Und beim fränkischen Autozulieferer Schaeffler ist die Rede vom Abbau mehrerer Tausend Leiharbeiter. Doch auch andere Branchen verzeichnen Aderlässe. So will der Speicherchip-Produzent Qimonda alleine in seinem Werk in Dresden 300 Leiharbeiter nach Hause schicken. Beim schwäbischen Maschinenbauer Trumpf sind 500 dieser flexiblen Stellen in Gefahr.

Der Boom ist vorbei

Gegenwärtig sind mehr als 800.000 Menschen in der Bundesrepublik bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigt, ein Plus von 274 Prozent im Vergleich zu 1993. Jeder dritte der neuen Jobs entsteht in der Leiharbeit. Bremen und Hamburg bilden mit etwa vier Prozent aller sozialversicherten Beschäftigten Deutschlands die Spitze bei den Leiharbeitern.

"Der Boom ist auf jeden Fall erst einmal vorbei", stellt Ludger Hinsen fest, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA). Und das dürfte auch heftige Auswirkungen auf den übrigen Arbeitsmarkt haben. Die Branche der Zeitarbeiter gilt als sicherer Frühindikator für die Konjunktur: "Analysen zeigen, dass die Entwicklung bei der Zeitarbeit der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung etwa zwei Monate voraus läuft", heißt es beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Bevor der Abschwung am gesamten Arbeitsmarkt ankommt, trifft es also die Zeitarbeiter. Sie müssen als erstes gehen, wenn die Auftragsbücher dünner werden.

Dabei war Zeitarbeit die Zauberformel für die Verfechter des flexiblen Arbeitsmarktes und trug maßgeblich dazu bei, dass die Arbeitslosenzahlen sanken. "Der jetzige allgemeine wirtschaftliche Aufschwung beruht wesentlich auf der Zeitarbeit", frohlockte noch vor Ausbruch der Finanzkrise Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Immerhin wurde im Sommer der niedrigste Arbeitslosenwert seit 2002 festgestellt. Und die Zukunft sah rosig aus. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle prognostizierte in zehn Jahren vier bis fünf Millionen Leiharbeiter.

Die Zeitarbeitsfirmen verdienten an dem Geschäft mit den Leihkräften prächtig. Offizielle Zahlen gibt es zwar nicht. Einer Verbandsschätzung zufolge überweisen jedoch Firmen, die Leiharbeiter anheuern, etwa den 2,5-fachen Bruttolohn der Arbeitnehmer an die Zeitarbeitsfirma. Aus dieser Summe erhält der Leiharbeiter seinen Lohn. Dann werden noch die Sozialversicherungsabgaben bezahlt. Nach Abzug aller Nebenkosten bleibt dann für die Verleihfirma eine stolze Rendite übrig. Gewerkschafter sehen diese Form der Beschäftigung kritisch und verweisen auf die große Kluft bei der Bezahlung zwischen Festangestellten und Leiharbeitern. Laut IG Metall verdient ein Leiharbeiter, der als Produktionshelfer in der Metallindustrie tätig ist, im Schnitt 1150 Euro brutto. Sein fest angestellter Kollege erhält für die gleiche Arbeit 1960 Euro brutto. Dabei sind die Löhne eigentlich bundesweit in Tarifverträgen geregelt: Zwischen 7,38 Euro und 16,69 Euro erhalten Leiharbeiter pro Stunde im Westen, im Osten sind es 6,42 bis 14,52 Euro. "Der Grundsatz 'gleicher Lohn für gleiche Arbeit' wird bei der Leiharbeit massiv verletzt", klagt Detlef Wetzel, Vize-Chef der IG Metall.

Leiharbeiter sind Arbeitsnomaden. Jeder Zweite wird an eine Firma für eine Beschäftigungsdauer zwischen einer Woche und drei Monaten ausgeliehen, jeder Achte ist nicht einmal eine Woche im Einsatz. Und wenn Verleihfirmen wie etwa Discount-Zeitarbeit ihre Leiharbeiter im Internet wie in einem Katalog von Media-Markt anpreisen - "Geile Leute! Geile Preise! Helfer ab 11,59 Euro! Kaufleute ab 16,49 Euro! Facharbeiter ab 16,59 Euro!" - schlagen Gewerkschaften Alarm. Die Branchenverbände wehren sich gegen Vorwürfe, Zeitarbeiter seien "Sklaven des 21. Jahrhunderts".

Neuaufträge bleiben aus

Dem Boom tat dies keinen Abbruch. Zeitarbeitsfirmen hatten in der konjunkturellen Hochphase andere Sorgen als die Attacken der Gewerkschaften: Sie fanden keine Fachkräfte. Heute, nachdem aus der Finanz- eine Wirtschaftskrise geworden ist, schwächelt hingegen die Nachfrage. Neuaufträge bleiben aus. Und wenn die Kunden keine neuen Mitarbeiter anfordern, verdienen Adecco, Randstad, Manpower & Co. keine Vermittlungsgebühr. Stattdessen bleiben sie auf den Lohnkosten für die Mitarbeiter sitzen, sofern sie diese nicht anderweitig unterbringen - oder gleich entlassen. Doch die Suche nach Alternativen wird schwieriger: Alle Bereiche der Industrie verfolgen einen strikten Sparkurs, die Auftragseingänge sind rückläufig.

So suchen die meisten Industriebetriebe erst einmal die gut gefüllten Arbeitszeitkonten abzubauen, die Betriebsferien zu verlängern - und eben Leiharbeiter nach Hause zu schicken.

Bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ist man sich sicher, dass es zu einer Kettenreaktion kommt: Zuerst kündigen die Autohersteller die Verträge mit den Zeitarbeitsfirmen und bauen die Leiharbeiter-Jobs ab. Da die aber in dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Umfeld nicht mehr vermittelbar sind, stehen sie auch vor dem Rauswurf bei der Zeitarbeitsfirma.

Die Branchenverbände BZA und IGZ sehen trotz aller Signale noch keine Kündigungswelle bei den Zeitarbeitsfirmen. "Es herrscht nach wie vor Fachkräftemangel", heißt es tapfer beim BZA. Allerdings sind selbst die gut Ausgebildeten schwer vermittelbar, wenn die gesamte Wirtschaft in der Krise steckt. "Zeitarbeit ist ein prozyklisches Geschäft", sagt IGZ-Geschäftsführer Scholz. Die Branche hat immerhin schon eine Konsequenz aus der Finanzkrise gezogen. Glänzte sie in der Vergangenheit mit mutigen Prognosen, will sie nun nicht einmal mehr einen Blick in das Jahr 2009 wagen.

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