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Hauptseite » 2008 » Oktober » 29 » Island unter Schock – das Leben nach "Kreppa"
Island unter Schock – das Leben nach "Kreppa"
11:47
www.welt.de - 29.10.2008 11:06
 

Isländer wissen, wie man Stürme überlebt – das könnte ihnen in der Krise helfen. Die Menschen auf der Atlantikinsel glauben an ein Leben nach "Kreppa", dem Crash. Die Isländer wollen nicht begreifen, dass ihre Erfolgsstory zu Ende sein soll. Doch erst einmal wehren sie sich gegen die britische Regierung.

Eins möchten die Isländer gern klarstellen: Sie sind keine Terroristen. Auf der Internet-Seite www.indefence.is bemühen sie sich, mit heiteren Fotos ihre Harmlosigkeit zu belegen. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Beweis skandinavischer Humorfestigkeit in stürmischen Zeiten, hat als Hintergrund einen bitteren politischen Konflikt, den Island derzeit mit Großbritannien austrägt. Am 8. Oktober wandte der britische Premierminister Gordon Brown ein Anti-Terror-Gesetz an, um die Konten der isländischen Banken in Großbritannien einzufrieren. Viele Isländer sind überzeugt, dass ohne diese Maßnahme der Zusammenbruch der Kaupthing-Bank hätte verhindert werden können. Vor allem aber sind sie fassungslos, dass die britische Regierung sie auf eine Stufe stellt mit Iran oder Nordkorea.

„Die Briten verhalten sich so, als seien sie immer noch ein Empire“, sagt Ólafur Stephensen, der Chefredakteur der Tageszeitung Morgunbladid. „Die einzigen Freunde, die wir noch haben, sind anscheinend die nordischen Länder.“ Am Dienstag kamen diese in Helsinki zusammen, um über ein Hilfspaket für Island zu beraten. Nachdem der Internationale Währungsfond (IWF) in den nächsten Tagen zwei Milliarden Dollar bereitstellen will, sollen die skandinavischen Nachbarn mit weiteren vier Milliarden Dollar aushelfen. Zudem erhöhte die isländische Regierung gestern den Leitzins von 12 auf 18 Prozent. Ob diese Maßnahmen ausreichen, um den Staatsbankrott abzuwenden, weiß derzeit niemand. Das einzige, was in Island gewiss ist, ist die Ungewissheit. „Die Leute stehen immer noch unter Schock“, sagt ein isländischer Banker, der seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte. „Stellen sie sich vor, in Deutschland verlieren sie an einem Tag die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Dresdner Bank – da wären Sie auch etwas durcheinander.“

Zugleich herrscht eine eigenartige Zuversicht, dass man diese Krise irgendwie meistern werde. „Wir sind Naturkatastrophen gewöhnt, jetzt haben wir es eben mit einer mathematischen Katastrophe zu tun.“, sagt Andri Snaer Magnason. Magnason hat vor zwei Jahren den Bestseller „Draumalandid“ (Traumland) über seine Nation geschrieben. Mit dem Buch wurde der Autor neben der Sängerin Björk zu einer Symbolfigur der Umweltbewegung, die sich gegen den Bau von neuen Wasserkraftwerken auf der Insel einsetzt. Bislang hätten fast nur Banker ihren Job verloren, erzählt Magnason, doch niemand wisse, was noch folge.

Schwer zu begreifen ist für viele Isländer, dass ihre Erfolgsgeschichte zu Ende sein soll. Noch im vergangenen Jahr bescheinigte ihnen eine UN-Untersuchung, im „lebenswertesten Land der Welt“ zu leben. Der Wohlstand eines durchschnittlichen Privathaushaltes stieg in den vergangenen fünf Jahren um 45 Prozent. Die Boom-Town Reykjavik galt als eine der angesagtesten Städte Europas. Apartmenthäuser, Bürotürme und ein neues Kulturzentrum schossen in die Höhe. Inzwischen haben mehr als 3000 der etwa 10.000 polnischen Gastarbeiter, die vor allem auf dem Bau arbeiteten, die Insel verlassen. Wer will noch isländische Kronen nach Hause schicken? Dabei ist es noch nicht lange her, da kauften isländische Investmentfirmen, allen voran die Baugur-Gruppe, in Großbritannien eine Ladenkette nach der anderen auf. Landsbanki-Chef Björgólfur Gudmundsson gönnte sich den britischen Fußballclub West Ham United. Im Frühjahr dieses Jahres war der Umsatz der isländischen Banken neunmal so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt.

An mahnenden Stimmen fehlte es nicht: eine so kleine Volkswirtschaft könne die rapide Expansion auf Dauer nicht tragen. „Anfang Mai hat der Finanzkrisenexperte Robert Aliber von der Universität Chicago einen Vortrag in Reykjavik gehalten und vor der Spekulations-Blase gewarnt“, erzählt der renommierte isländische Ökonom Thorvaldur Gylfason. Fast die gesamte Politik- und Wirtschaftselite Islands habe dem Vortrag beigewohnt. Aliber habe sogar erklärt, dass man die Banken in nationale und internationale Abteilungen aufteilen müsse, um das Schlimmste zu verhindern. Doch hören wollte die Warnungen niemand. Das lag auch daran, dass fast alle irgendwie in der Sache drinhingen. „Die Krise hat vor allem zwei Ursachen: zu schnelles Wachstum, und mangelnde Aufsicht. Die politischen und die Wirtschaftskreise sind eng verzahnt, das erklärt warum die Kontrolle so lasch ist“, sagt Gylfason und meint Leute wie David Oddsson. Der Präsident der isländischen Zentralbank war zuvor Ministerpräsident und verantwortete die Privatisierung der Banken.

Viele Isländer haben teure Auslandskredite

Doch nicht nur die Elite berauschte sich an der Idee, in einem atlantischen Tigerstaat zu leben. Viele Isländer nahmen Kredite auf Euro- oder Pfund-Basis auf, um Häuser oder Autos zu finanzieren. Inzwischen hat die isländische Krone mehr als die Hälfte ihres Wertes eingebüßt und sie können ihre Kredite nicht mehr bedienen. Es ist die Mittelklasse, die von der Krise am härtesten getroffen wird. Von 320.000 Isländern haben rund 70.000 Aktien besessen, darunter viele Bankaktien, denn die Banken waren die größten Unternehmen in Island. Morgunbladid-Chefredakteur Stephensen vermutet, dass „50 bis 80 Prozent der Isländer ihre Ersparnisse“ verloren haben. Außerdem sind die Rentenfonds in bedrohliche Schieflage geraten. Die Arbeitslosigkeit hat sich bereits verdoppelt – von 1,3 auf 2,6 Prozent. Die Prognosen für die kommenden Monate liegen bei sechs bis acht Prozent. Für ein Land, das Vollbeschäftigung gewohnt ist, ist das dramatisch. In den Zeitungen wird derweil diskutiert, ob die Krise das Ende für die „Krúttkynslódin“ bedeute, die „Kuschel-Generation“.

So bezeichnet man in Island diffus kreative, umweltbewusste Latte-Macchiato-Trinker, die nun zum ersten Mal in ihrem Leben harten Zeiten entgegen sehen. „Wir erleben gerade einen heftigen Bewusstseinswandel“, erzählt Andri Snaer Magnason. „Bis vor kurzem ging es hier in den Lifestyle-Magazinen nur um Status-Symbole: Geländewagen, Flachbildschirme, Designer-Küchen. Jetzt wird den Leuten schlecht, wenn sie das sehen.“ Range-Rover-Besitzer ließen ihr Auto stehen, um nicht für einen Krisenverursacher gehalten zu werden. „Die Leute sind wütend, aber sie wissen nicht so recht wohin mit ihrer Wut“, sagt Magnason. Ministerpräsident Haarde erklärt da vorsichtshalber, jetzt sei nicht der Augenblick, die Schuldfrage zu stellen, erst müsse man die Krise meistern. Dennoch scheinen die Isländer nun nicht kollektiv in Depression versinken. „Ich würde zwar nicht behaupten, dass die Stimmung optimistisch ist, aber man spürt eine gewisse Entschlossenheit“, findet der Chefredakteur Stephensen.

Isländer sind harte Zeiten und Krisen gewohnt

Auch Andri Snaer Magnason vertraut darauf, dass die Isländer ein tapferes Völkchen sind: „Die isländische Kultur ist eine Krisenkultur“, sagt der Autor. „Wir leben auf einer Vulkaninsel, die seit 1000 Jahren versucht uns umzubringen.“ Daher ist ihm auch nicht bange. Die Generation der Großeltern, die noch harte Zeiten gewohnt war, habe Werte vermittelt, auf die man sich jetzt wieder besinne. Darunter auch die Fähigkeit, mit wenig auszukommen. „Statt Parmesan gibt es jetzt eben wieder Slátur“ - die deftige isländische Blut-Leberwurst, die Familien traditionell im Herbst zubereiten. Slátur selbst einzukochen sei dieses Jahr extrem trendy, beobachtet Magnason. „Das erinnert uns daran, dass Großmutter keine unglückliche Person war, obwohl sie wenig besaß.“

Zwei Szenarien kann sich Magnason als Ausweg aus der Krise vorstellen: Bestenfalls werde man in fünf Jahren zurückblicken und feststellen, dass „kreppa“ – der Crash - ein Neuanfang war. Durch die einseitige Ausrichtung der isländischen Wirtschaft auf die Banken, hätten jene fast alle Talente aufgesogen. Nun müssten gerade diese Leute sich neue Aufgaben suchen. Das, so hofft Magnason, könne kreative Energien freisetzen. Doch im schlimmsten Fall droht Island ein Exodus seiner jungen, gut ausgebildeten Kräfte. Das sei zu befürchten, wenn die Konditionen, die der IWF und andere Gläubiger Islands an die Kreditvergabe knüpften, so hart würden, dass die Wirtschaft keine Chance habe sich zu erholen. Manche Medien sprechen bereits von der Gefahr eines „Versailles-Vertrages“ für Island.

Doch die Isländer verstehen sich als ein Volk von harten Arbeitern, nicht umsonst ist eins der wichtigsten Adjektive hier „duglegur“ – tüchtig. Und so hält nicht nur Andri Snaer Magnason die Gefahr, dass Island „in die Steinzeit zurückfällt“ für gering. Auch Präsident Ólafur Grimsson, der wegen der Turbulenzen in seinem Land seinen für diese Woche geplanten Deutschland-Besuch absagen musste, verweist im Gespräch mit deutschen Journalisten auf die „ausgesprochen soliden Grundlagen“ der isländischen Wirtschaft. Man habe jede Menge Fisch, 900.000 Schafe, Touristen anlockende Naturschönheiten und vor allem riesige Ressourcen an grüner Energie. Die Vulkaninsel kann durch Erdwärme und Wasserkraft 90 Prozent ihres Energiebedarfs decken und im Winter die Bürgersteige beheizen. Wegen der lächerlich niedrigen Energiekosten interessieren sich inzwischen neben energieintensiven Aluminium-Schmelzen auch Datenspeicher-Unternehmen für den Standort im Nordatlantik.

Was in jedem Fall kommen wird, ist eine neue Debatte über den EU-Beitritt und die Einführung des Euro. Jahrelang hatten die Parteien dies abgelehnt, vor allem auf Druck der Fischerei-Industrie, obwohl die Wähler mehrheitlich dafür waren. Nun bröckelt der Widerstand. Der Gewerkschaftsbund hat sich gerade für den Beitritt ausgesprochen, Ökonomen wie Gylfason plädieren ohnehin seit Jahren dafür. Jetzt erwartet er, dass auch die Regierung sich Richtung EU bewegt. „Wir müssen der Welt signalisieren, dass wir ernsthafte Geschäftspartner werden wollen“, findet Gylfason, der, wie die meisten Isländer, noch nicht den Humor verloren hat. Fragt man ihn nach den langfristigen Folgen der Krise, sagt der Wirtschaftsprofessor nur: „Das Lustige an Finanzkrisen ist ja gerade, dass sie keine langfristigen Folgen haben.“

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