dpa-infocom - 21.10.2008 16:28
Köln (dpa) - Ungeduldig tritt Oliver Jolmes von einem Bein auf das andere, guckt auf die Uhr und zückt sein Handy. Auf zehn Minuten wird es am Ende ankommen. Zehn Minuten, die der Kaufmann und sein Kollege haben, um vom Bahnsteig am Frankfurter Flughafen zum Check In zu rennen.
Der Flieger nach Hongkong wartet nicht ewig auf Kunden der Deutschen Bahn. Es wird ganz eng. «Das nächste Mal nehmen wir wieder den Mietwagen», schnaubt der 41-Jährige. So wie Jolmes denken viele Reisende, die am Dienstag im Kölner Hauptbahnhof auf den ICE nach München warten. Die außerplanmäßigen Kontrollen an den Achsen der Schnellzüge haben den Fahrplan durcheinandergewirbelt.
Viele ICE sind nur mit halber Länge und halbem Platzangebot unterwegs. Die Strecke aus dem Ruhrgebiet über Frankfurt nach München ist besonders betroffen. Die Fahrgäste sind verwirrt, viele fühlen sich schlecht informiert. Walter Klein (73) und seine Frau Sigrid (72) wollen die Enkel in München besuchen. Dass es Probleme geben könnte, haben sie aus der Zeitung erfahren. Gerade haben sie einen Schaffner gefragt, ob ihre Reservierungen noch gültig sind und bekamen die Antwort «Warum nicht?». Jetzt erfahren sie von einem Mitreisenden, dass ihr Zug nicht bis München durchfährt und sie auf einen IC umsteigen müssen. Und da werden für das ältere Ehepaar wohl keine Plätze reserviert sein.
Die meisten Bahnkunden haben sich vor der Fahrt informiert - an Hotlines, am Schalter oder im Internet. Doch sie bekommen teilweise widersprüchliche Auskünfte. «Das absolute Chaos», schimpft Werner Jung. Einmal im Monat muss er geschäftlich nach Stuttgart. «Es wird immer schlimmer mit der Bahn», platzt es aus dem 45-jährigen Systemberater heraus. Kritik kommt auch von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Sie bemängelt, dass nicht ausreichend für Ersatzzüge gesorgt werde. Auch die Ankündigung der Bahn, dass sich schon an diesem Mittwoch die Lage entspannen werde, kann niemanden beruhigen.
Zugleich beanstandet das Aktionsbündnis «Bahn für alle» die schleppende Aufklärung der Kölner ICE-Entgleisung vom 9. Juli. Alles spreche für einen Ermüdungsbruch der Achse, sagte dessen Verkehrsexperte Winfried Wolf dem Sender n-tv. Die Bahn und die zuständige Bundesanstalt für Materialprüfung seien aber in den drei Monaten seit der Entgleisung nicht in der Lage gewesen, «ein entsprechendes Gutachten herbeizuschaffen». Man habe alles tun wollen, um zu verhindern, dass in der Zeit des inzwischen verschobenen Bahn-Börsengangs «negative Nachrichten in die Medien dringen».
Dem Bündnis gehören unter anderem verschiedene Umweltverbände, Gewerkschaften und politische Jugendorganisationen an. Es setzt sich mit örtlichen und bundesweiten Aktionen vor allem gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn AG ein. Der Verband der Bahnindustrie (VDB) verteidigt dagegen die Deutsche Bahn. Zertifizierte Prüfverfahren seien dazu da, Mängel rechtzeitig festzustellen und zu beheben. «Und genau das passiert», sagte VDB- Hauptgeschäftsführer Ronald Pörner in Berlin.
Hochbetrieb herrscht unterdessen in den ICE-Werken in München, Dortmund, Frankfurt und Berlin. Rund um die Uhr arbeiten dort seit Tagen die Techniker im Drei-Schichten-Betrieb. Per Ultraschall werden die Achsen der Hochgeschwindigkeitszüge untersucht, weil vor kurzem wieder ein millimetertiefer Riss in einer ICE-Radsatzwelle gefunden worden ist.
«Das läuft so ähnlich wie bei einer Röntgenuntersuchung beim Arzt», berichtet ein Bahner. Unter spezieller Beobachtung stehen Radsatzwellen aus einer bestimmten Stahlsorte. Sie werden mit einer Genauigkeit von bis zu zwei Millimetern auf Risse untersucht. Dazu fahren die Techniker das Ultraschallgerät auf einer verschiebbaren Bühne an jede Achse heran. Auf Monitoren wird das Echo dann genau verfolgt. Aus den gemessenen Daten lassen sich kleinste Unregelmäßigkeiten ablesen.
Pro Schicht und Anlage können sechs Achsen geprüft werden. Jeder ICE-3 hat 32 Achsen, aber nicht alle müssen extra kontrolliert werden. Deshalb müsse bei den Sonderkontrollen bis Ende dieser Woche jeder Zug im Durchschnitt etwa 16 Stunden aus dem Betrieb genommen werden, dadurch ergeben sich die Ausfälle im Streckennetz.
Im Kölner Hauptbahnhof scheint Susanne Diester eine der wenigen zu sein, die noch gute Laune haben. Mit ihrem Mann und den drei Kindern war sie in der Domstadt, um die Oma besuchen. Auf der Hinfahrt war der ICE nur einteilig unterwegs, da durften sie in die Erste Klasse aufrücken. «Das war natürlich klasse», sagt die 32-Jährige lachend.
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