George Soros zählt zu den 100 reichsten Menschen der Erde. Verdient hat er seinen Reichtum durch teils aufsehenerregende Spekulationen. Nun zieht er bei WELT ONLINE Lehren aus der Krise und erklärt, warum die USA bei der Fehleranalyse versagt haben. Und wieso China der große Gewinner sein wird.
WELT ONLINE: Dank niedriger Zinsen, viel Liquidität und Deregulierung haben wir lange eine sich selbst verstärkende Kreditblase, einen irrationalen Überschwang erlebt. Jetzt gab es einen Crash der Aktien- und Kreditmärkte, eine irrationale Verzweiflung, die durch Fundamentaldaten der Realwirtschaft nicht gerechtfertigt war. Wie erklären Sie das?
George Soros: Der Schlüssel zum Verständnis dieser Krise – der schlimmsten seit den Dreißigerjahren – liegt in der Einsicht, dass sie innerhalb des Finanzsystems selbst geschaffen wurde. Was wir erleben, ist nicht die Folge eines Schocks von außen, der das Gleichgewicht stört, wie es die Theorie nahelegen würde. Die Wahrheit ist, dass die Finanzmärkte sich selbst destabilisieren. Von Zeit zu Zeit neigen sie eben nicht dem Gleich-, sondern dem Ungleichgewicht zu. Meine Theorie unterscheidet sich von der gängigen Meinung in zweierlei Hinsicht. Erstens: Die Finanzmärkte spiegeln nicht die wirtschaftlichen Basisdaten wider; sie werden von Händlern und Investoren stets verzerrt. Zweitens, diese Verzerrung durch die Finanzmärkte kann die Basisdaten beeinflussen – wie im Fall einer Blase oder eines Crashs gesehen.WELT ONLINE: Was genau passiert da?Soros: Euphorie kann Immobilien- und Dot.com-Preise in die Höhe treiben; Panik kann Banken ins Wanken bringen. Diese doppelte Verbindung – dass man beeinflusst, was man reflektiert – nenne ich „Reflexivität“. So funktionieren Finanzmärkte wirklich. Ihre Instabilität wirkt sich nun auf die Realwirtschaft aus, nicht umgekehrt. Derzeit geht es keineswegs bloß um die Immobilienblase. Sie war nur der Auslöser, der eine viel größere Blase zum Platzen gebracht hat. Diese Superblase, aufgepumpt durch immer höhere Kredite und Schulden und die Überzeugung, die Märkte korrigierten sich selbst, ist über 25 Jahre lang gewachsen. Jetzt explodiert sie.
WELT ONLINE: Und wo ist der Schutzschalter? Wie lässt sich die Verzerrung unterbrechen, die die Finanzmärkte destabilisiert?
Soros: Staatliche Regulierung muss dafür sorgen, dass die Blasen nicht zu groß werden. Die Regierungen müssen begreifen, dass die Märkte sich nicht selbst korrigieren. Es reicht nicht aus, nach der Krise die Scherben aufzusammeln.
WELT ONLINE: Welchen Anteil an der Krise hat der globale Fluss von Finanznachrichten rund um die Uhr?
Soros: Fraglos wird der Prozess dadurch beschleunigt. Allerdings würde ich das nicht überbewerten. Ende des 19. Jahrhunderts flossen die Nachrichten nicht rund um die Uhr, nichtsdestoweniger gab es die gleiche Sorte Blasen. Im 19. Jahrhundert, als eine Laisser-faire-Mentalität herrschte und es nur unzureichende Regulierungen gab, jagte eine Krise die nächste. Jede zog Reformen nach sich. So entwickelte sich das Zentralbanksystem.
WELT ONLINE: Warum hat die US-Regierung die Krise trotz aller Gegenmaßnahmen bislang nicht in den Griff gekriegt?
Soros: Die US-Behörden haben an die Ideologie des Marktfundamentalismus geglaubt. Sie haben gedacht, die Märkte würden sich schließlich selbst korrigieren. Finanzminister Henry Paulson war der Inbegriff dessen. Er hat geglaubt, dass sich der Markt sechs Monate nach der Bear-Stearns-Krise angepasst habe. „Na ja, wenn Lehman hochgeht, dann kann das System das verkraften“, hieß es. Stattdessen ist alles auseinander gefallen. Weil sie die Natur des Problems nicht verstanden haben – nämlich dass der Markt sich eben nicht selbst korrigieren würde – haben sie die Notwendigkeit eines staatlichen Eingriffs nicht gesehen. An einem Plan B wurde nicht gearbeitet. Als der Schock des Lehman-Zusammenbruchs Wirkung zeigte, musste Paulson umdenken und AIG retten. Am Tag darauf gab es einen Run auf den Geld- und Wertpapiermärkten, also machte er wieder kehrt und sagte, wir brauchen ein 700 Milliarden Dollar-Rettungspaket. Aber er wollte das Geld an der falschen Stelle. Er wollte den Banken die toxischen Wertpapiere aus den Händen nehmen. Indem die Regierung sich bei den Banken einkauft, lenkt sie jetzt endlich ein – weil sie einsieht, dass das System kurz vor dem Kollaps steht.
WELT ONLINE: Wie kann die Krise schlussendlich gelöst werden?
Soros: Die Grundzüge sind klar. Erstens muss die Regierung das Bankensystem rekapitalisieren, indem sie Anteile an den Banken erwirbt. Das muss auf die richtige Art und Weise geschehen. Zweitens muss der Kreditkreislauf zwischen den Banken wieder angekurbelt werden. Durch Garantien und durch die Synchronisierung von LIBOR – dem Zinssatz des Londoner Interbankenhandels – und der amerikanischen Federal Funds Rate. Das ist in Arbeit. Drittens müssen wir das amerikanische Hypothekensystem reformieren, Zwangsvollstreckungen minimieren und Kredite neu verhandeln, so dass Hypotheken nicht mehr wert sind als Häuser. Die Eindämmung von Zwangsvollstreckungen wird den Fall der Immobilienpreise dämpfen. Viertens muss Europa eine Euro-Schwäche verhindern, indem es einen Schirm für seine Banken aufspannt. War man anfänglich auch dagegen, hat man mittlerweile zum Glauben gefunden und entsprechend gehandelt. Fünftens muss der IWF sich um die verletzlichen Staaten an der Peripherie des globalen Finanzsystems kümmern, indem er ein finanzielles Sicherheitsnetz bereitstellt. Auch das ist in Arbeit. Die Japaner haben zu diesem Zweck bereits 200 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt. Mit diesen fünf Schritten beginnt der Heilungsprozess. Wenn wir diese Maßnahmen effektiv nutzen, haben wir das Schlimmste der Finanzkrise hinter uns.
WELT ONLINE: Wie geht es weiter?
Soros: Dann allerdings, fürchte ich, sind da noch die Folgeschäden für die Realwirtschaft, die jetzt sichtbar werden. Die Reparatur des Finanzsystems zu diesem Zeitpunkt wird eine ernste, weltweite Rezession nicht verhindern. Denn unter Umständen wie diesen kann der US-Konsument nicht länger als Motor der Weltwirtschaft dienen, die US-Regierung muss die Nachfrage stimulieren. Da wir von Klimaerwärmung und Energieabhängigkeit bedroht werden, sollte die nächste US-Regierung sämtliche Förderprogramme auf Energieeinsparungen, die Entwicklung alternativer Energien und den Aufbau einer grünen Infrastruktur ausrichten. Dieser Stimulus könnte der neue Motor der Weltwirtschaft werden.
WELT ONLINE: Wird sich die globale Finanzwelt letzten Endes nicht radikal wandeln? Die Vereinigten Staaten werden ihre Spitzenposition verlieren. Sie werden, wie auch Teile Europas, sozialisierte Banken haben und enorme Schulden. Und das kommunistische China wird zur neuen globalen Finanzmacht. Es ist flüssig und kann im Westen investieren.
Soros: Der amerikanische Einfluss wird schwinden. Er hat bereits abgenommen. In den vergangenen 25 Jahren hatten wir stets ein Leistungsbilanzdefizit. Die Chinesen und die ölproduzierenden Staaten hingegen haben Überschüsse eingefahren. Wir haben mehr konsumiert als produziert. Während wir Schulden aufgehäuft haben, haben sie gespart und Reichtum geschaffen. Den Chinesen wird, mit wachsender Tendenz, eine Menge mehr von der Welt gehören, weil sie ihre Dollarreserven und US-Staatsanleihen in echte Aktivposten umwandeln werden. Das verändert das Machtgefüge. Die Machtverschiebung in Richtung Asien ist die Folge der amerikanischen Sünden in den vergangenen 25 Jahren.
Das Gespräch führte Nathan Gardels. Übersetzung von Wieland Freund - © Global Viewpoint 2008.