Das koordinierte Rettungspaket der europäischen Regierungen zeigt erste Wirkung: Die Finanzmärkte beruhigen sich. Und die US-Amerikaner folgen Europa nach und treiben die Teilverstaatlichung ihrer Banken mit Vehemenz voran – ein Rückblick auf eine historische Rettungsaktion.
Klotzen, nicht kleckern. Nach diesem Motto plant nach den Europäern nun auch die US-amerikanische Regierung eine Teilverstaatlichung von Banken: Für 250 Milliarden Dollar (183 Milliarden Euro) will die Regierung Anteile an angeschlagenen Instituten erwerben. Und es sind auch die ersten Adressen der Wall Street wie die Bank of America, Citigroup, JP Morgan, Goldman Sachs, Morgan Stanley, die auf der Kaufliste stehen. Außerdem übernimmt der Staat für bestimmte Bankgeschäfte Garantien, um das Vertrauen an den Kapitalmärkten wiederherzustellen.
Mit ihrem neuen Rettungsplan folgen die Amerikaner dem Weg, auf dem die Europäer in den vergangenen Tagen voranmarschiert sind. Für die USA ist diese Rollenverteilung durchaus gewöhnungsbedürftig. Denn üblicherweise waren es in der Vergangenheit stets die Amerikaner, die in Wirtschafts- und Finanzfragen die Führungsrolle innehatten. Den Europäern gelang es dagegen früher oftmals nicht, sich auf eine einheitliche Position zu einigen. Doch angesichts der Dimension der Krise, die nicht zuletzt durch die beispiellose Panik an den Weltbörsen deutlich wurde, übten die Europäer den Schulterschluss.Vor allem das Zusammenspiel zwischen den Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens funktionierte. Das von Angela Merkel gemeinsam mit ihren europäischen Kollegen am vergangenen Wochenende geschnürte Rettungspaket wurde von den Börsen weltweit euphorisch aufgenommen. Die Banken konnten das erste Mal wieder aufatmen.Wenn heute in Brüssel die Regierungschefs zum Europäischen Rat zusammenkommen, dürfte deshalb Genugtuung inmitten der gegenwärtigen Misere spürbar sein: Sie, die Europäer, waren schließlich die Handlungsfähigen. Von hier ging der Impuls aus, der die Panik an den globalen Finanzmärkten zumindest vorläufig gestoppt hat. Und die europäischen Finanzminister waren es auch, die beim Treffen der sieben führenden Industrieländer – bei denen auch die USA, Kanada und Japan mit am Tisch sitzen – am vergangenen Wochenende mit Erfolg auf ein klares Signal drängten. Die eindeutige Aussage der G-7-Staaten, keine „systemrelevante Bank“ pleitegehen zu lassen, sondern nötigenfalls um jeden Preis zu stützen, war für die Beruhigung der Märkte von entscheidender Bedeutung.
Dass nationale Alleingänge nicht die richtige Antwort sind, hatte die Erfahrung der vergangenen Tage und Wochen gezeigt. Denn weder das 700-Milliarden-Dollar-Paket der US-Regierung noch die von den Briten angekündigte Teilverstaatlichung ihres Bankensektors verbunden mit weitreichenden staatlichen Garantien für Bankgeschäfte beruhigten die Märkte. Erst die koordinierte Aktion der Europäer, die am Montag zeitgleich ihre jeweiligen Rettungsaktionen präsentierten, schaffte das.
Dabei hatte gerade die Bundesregierung lange Zeit geglaubt, einzelne Hilfsmaßnahmen von Fall zu Fall würden ausreichen. „Der Wendepunkt in dieser Krise war der Zusammenbruch von Lehman Brothers“, sagt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück rückblickend. Die für die meisten Europäer überraschende Pleite der traditionsreichen amerikanischen Investmentbank versetzte die Banken Mitte September weltweit in Schockstarre. Das gegenseitige Vertrauen war dahin, kaum ein Institut lieh dem anderen daraufhin noch Geld.
„Wir dachten immer, die pokern bis zum Schluss, um die besten Konditionen zu bekommen“, sagt einer, der die letzten Tage und Nächte durchverhandelt hat. „Aber wir sind immer davon ausgegangen, dass für Lehman die Doktrin ,too big to fail‘ gilt“ – dass die Investmentbank als zu groß zum Scheitern eingeschätzt wurde, als systemisches Risiko für das globale Weltfinanzsystem. So war es dann auch, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat.
Das haben – zu spät, wie etliche in den europäischen Regierungen meinen – auch die Amerikaner erkannt. Denn ihr groß angekündigtes und erst im zweiten Anlauf vom Parlament akzeptiertes 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket versetzte die Märke eher in zusätzliche Panik, statt sie zu beruhigen. Noch heute, zwei Wochen später, sei kein einziger Dollar ausgezahlt. Auch das Modell überzeugte die Europäer nicht. Denn die amerikanische Regierung setzte zunächst darauf, den Finanzinstituten „bad assets“, also wertlos gewordene Papiere, im großen Umfang abzukaufen. Eine solche Maßnahme ist nicht nur nach Ansicht der Bundesregierung ungeeignet, das angeschlagene Bankensystem zu stabilisieren.
Denn je mehr sich die Krise verschärfte, desto klarer wurde, dass die unterschiedlichen Finanzinstitutionen unterschiedliche Rettungsmaßnahmen benötigten: Große Privatbanken wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank sahen mit jedem weiteren Kurssturz an den Börsen auch ihr Eigenkapital dahinschmelzen und waren noch mehr an einer Änderung der Bilanzierungsrichtlinien interessiert als an direkten Staatskrediten. Bei anderen Instituten wie beispielsweise der britischen HBOS half nur noch ein Einstieg des Staates als Anteilseigner. „Je länger wir dem zusahen, desto klarer wurde uns, dass wir einen Instrumentenkasten brauchten“, berichtet einer der Verhandlungsteilnehmer.
Europa einigte sich auf Änderung der Bilanzierung
Insbesondere die deutsche Regierung lehnte deshalb früh und vehement einen von der französischen Finanzministerin Christine Lagarde per „Handelsblatt“-Interview vorgeschlagenen europäischen Rettungsfonds ab, der sich am amerikanischen Modell orientierte. „Finanzminister Peer Steinbrück hat noch am gleichen Tag mit ihr telefoniert, dass das für die Deutschen nicht infrage kommt“, heißt es im Finanzministerium. Tatsächlich hätte man wohl kaum dem deutschen Steuerzahler klarmachen können, dass mit seinem Geld gegebenenfalls auch italienische oder griechische Banken gerettet werden. Hinzu kommt, dass die Europäer über keine Institution verfügen, die eine derartige Krisenhilfe schnell und ohne tagelangen Abstimmungsmarathon ausreichen könnte.
Noch vor eineinhalb Wochen schien es unmöglich, sich auf europäischer Ebene auf eine große Lösung zu einigen. Als damals Merkel in Paris mit ihren Amtskollegen aus Frankreich, Italien und Großbritannien zum ersten Krisengipfel zusammenkam, war die Idee vom europäischen Rettungsfonds längst tot. Immerhin einigte sich die Viererrunde auf Änderungen bei den Bilanzierungsregeln, die in der Folgewoche ausgearbeitet werden. Denn mitten in die Sitzung platzte eine „Welt am Sonntag“-Meldung, dass die Rettung der Hypo Real Estate (HRE) wieder fraglich sei: Die privaten Banken zogen ihre Zusage zurück, die HRE war erneut am Abgrund. Merkels Kollegen im Elysée-Palast wussten an diesem Samstagabend natürlich, was die erneute Pleite des in ganz Europa tätigen Immobilienfinanzierers auch für ihre Länder bedeuten würde.
Garantie für Sparer war nur erster Schritt
Merkel und ihr Verhandlungsteam kümmerten sich nach der Rückkehr vom ersten Pariser Treffen erst mal um die erneute Rettung der HRE – und hörten sich immer mehr Warnmeldungen an, dass die deutschen Sparer unruhig wurden. So entschloss sich die Kanzlerin, am Sonntagabend vor die Kameras zu gehen und eine Garantie für alle Spareinlagen auszugeben. Andere europäische Länder zogen nach.
Die erhoffte Beruhigung der Börsen blieb dennoch aus. Als sich die Abwärtsdynamik im Laufe der Woche immer weiter beschleunigte, war auch dem bislang zögernden Kanzleramt klar, dass der Befreiungsschlag nun schnell kommen müsse. Und das Timing war günstig. Denn das G-7-Treffen in Washington war seit Langem terminiert, und in Europa tagten die Regierungschefs der Euro-Gruppe und Großbritanniens. Schon am Samstag besprachen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy die Grundzüge des europäischen Rettungspaketes. Beiden war klar, dass die Märkte nur reagieren würden, wenn die europäischen Staaten abgestimmt und machtvoll handelten – und schnell.
So wird das deutsche Paket in fünf Tagen durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht, ein Tempo, das zum letzten Mal 1977 bei den Notstandsgesetzen zu Zeiten des RAF-Terrors vorgelegt wurde. Schon am Freitagabend soll alles im Gesetzblatt stehen, am Montag sollen die staatlichen Hilfen fließen. „Wir wissen, dass wir damit den Brand noch nicht gelöscht haben“, sagt einer der Beteiligten, „aber zumindest sind jetzt die Löschzüge vor Ort und spritzen.“