Vordergründig geht es bei der USA-Reise des Wirtschaftsministers um Opel. Doch Karl-Theodor zu Guttenberg nutzt die Tour auch zur Profilierung. Eine ungewöhnlich große Schar von Medienvertretern begleitet ihn auf seiner Reise, und er bemüht sich, gute Bilder und Schlagzeilen zu liefern. Das ist für ihn nicht ungefährlich.
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Und damit der Rest des Landes das auch möglichst genau mitbekommt, hat Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) 38 deutsche Journalisten zu seiner ersten Auslandsreise als Bundeswirtschaftsminister mitgenommen. 38 Fotografen, Kameraleute und Schreiber, die darüber berichten sollen, wie Guttenberg in den USA mit dem Management des amerikanischen General-Motors-Konzerns (GM) hart um die Rettung des angeschlagenen deutschen Autobauers Opel ringt. So viele Pressevertreter nimmt noch nicht einmal die Kanzlerin mit auf Tour, geschweige denn irgendein anderer Minister der Regierung Angela Merkel (CDU).
Die Bilder gehen durchs Land. Guttenberg als fleißiger Arbeiter ohne Sakko im Flugzeug. Guttenberg neben dem Superinvestor George Soros im University Club in New York, einen Tag später dann der Händedruck mit den GM-Managern in Washington. Der junge Bundeswirtschaftsminister erscheint als der schnell aufsteigende Stern der deutschen Politik – auch im Ausland. Für den Nachfolger von Michael Glos, der als Schlaftablette auf zwei Beinen verspottet wurde, ist das eine beachtliche Medienausbeute. Wie kaum ein anderer Politiker dieser Bundesregierung hat er verinnerlicht, dass sich vor allem die Bilder und nicht die Sätze in den Nachrichten in die Köpfe der Nation einbrennen. Nur ob sich Guttenberg mit der Bilderflut am Ende einen Gefallen getan hat, bleibt abzuwarten. Innerhalb kurzer Zeit hat er eine enorme Fallhöhe erreicht. Schnell könnte die für ihn gefährlich werden.
Bände spricht vor allem jenes Bild, das Guttenberg nachts im gleißenden Licht der New Yorker Partymeile Times Square zeigt, die Arme weit ausgebreitet: „Seht her, mir gehört die Welt, ich bin auch hier zuhause“, suggeriert das Foto. Als klar wird, dass das Bild in Deutschland für einen Politiker auf Opel-Rettungsreise möglicherweise nicht so gut ankommt, dass die Menschen daheim ihn deshalb für arrogant halten könnten, versuchen seine Leute klar zu machen: Er hat es so nicht gemeint. Es sei ganz unglücklich gelaufen. Keiner weiß das besser als Guttenberg selbst. Doch das Foto bleibt in den Köpfen. Bilder sagen eben mehr als Worte.
Das gilt erst recht, wenn die Worte nicht allzu viel an neuem Inhalt transportieren. Als Guttenberg nach seinem Gespräch mit den GM-Größen Fritz Henderson und Rick Wagoner vor die deutsche Presse tritt, hat er de facto nicht viel Neues zu erzählen. Ja, General Motors und die Bundesregierung haben sich darauf geeinigt, einen Vermittler oder Koordinator in die Gespräche einzuschalten. Und ja, General Motors erkennt nun an, dass das Detroiter Unternehmen zunächst einmal einen eigenen Sanierungsplan vorlegen muss, bevor die Regierungen in den USA und Europa über Hilfen für den angeschlagenen Autoriesen vorlegen müssen. Das mag in der Bewusstseinsbildung von GM ein großer Fortschritt sein. Aber weil Guttenberg eben diese Bedingung seit Wochen in Deutschland immer wieder postuliert hat, vermag man darin kaum einen Fortschritt zu erkennen. Zwischen den Bildern von Guttenberg in Amerika und der Realität der Reise liegen Welten, wird ihm mancher im Nachhinein wohl vorhalten.
Dabei hat der Bundeswirtschaftsminister etwas geschafft, wofür die Kanzlerin ihm dankbar sein wird. Es ist ein Balanceakt, bei dem selbst viele erfahrene Politiker vom Seil gefallen wären: Jenen Deutschen, die einer Rettung Opels mit Steuergeldern skeptisch gegenüberstehen, gilt er seit Wochen als glaubwürdiger Vertreter ihrer Position, als Ordnungspolitiker eben. Immer wieder hatte er davor gewarnt, GM und Opel vorzeitig Hilfen zuzusagen. Systemrelevant für die Wirtschaft der Bundesrepublik sei die Firma ohnehin nicht. „Ohne ein tragfähiges Sanierungskonzept werden wir Opel nicht helfen können“, so sein Mantra. Und weil sich die Skeptiker sicher waren, dass General Motors dazu nicht in der Lage ist, rechneten einige von ihnen schon fest mit einer Insolvenz von Opel.
Darum aber ging es Merkel und Guttenberg in Wirklichkeit wohl nie. Ende März fährt die Kanzlerin nach Rüsselsheim zu Opel. In einem Superwahljahr kann sie Bilder wütender Arbeiter dort keinesfalls gebrauchen. Für die beiden großen Parteien Union und SPD steht angesichts der Bundestagswahl im September zu viel auf dem Spiel, als dass sie den 25.000 Opelanern jede Hilfe verweigern könnten. Das getraut man sich schon deshalb nicht, weil die Politik den Bankern, die sie für die Misere der Weltwirtschaft verantwortlich macht, mit hohen dreistelligen Milliardenbeträgen aus der Klemme hilft.
Was man in Berlin brauchte, war daher ein Vorwand, unter dem man Opel helfen kann, ohne dass daraus ein Präzedenzfall für all die anderen Hilfe suchenden Unternehmen wird. Wenn GM nun bereit ist, die Tochter Opel weitgehend in die Selbstständigkeit zu entlassen und die US-Regierung die verpfändeten Opel-Patente rausrückt, wird die Bundesregierung von einem tragfähigen Konzept reden. Kanzlerin und Wirtschaftsminister dürften dann den Eindruck zu vermitteln versuchen, dass Staatshilfe auch betriebswirtschaftlich gerechtfertig ist, obwohl es sich dabei um eine rein politische Entscheidung handelt.
Doch nicht nur die Kanzlerin wird aufmerksam beobachtet haben, wie sich das politische Talent Guttenberg auf der außenpolitischen Bühne behauptet. Mindestens genauso gründlich dürfte sich sein Parteichef Horst Seehofer (CSU) die Bilder und Nachrichten von der Reise seiner Entdeckung Guttenberg angeschaut haben. Sein Gefühl könnte am Ende zwiespältig sein. Denn nicht alles, was er dabei gesehen hat, muss dem wankelmütigen Machtpolitiker in der Münchener Staatskanzlei gefallen. Für Guttenberg ist das die größte Gefahr derzeit.
So dürfte sich Seehofer einerseits zwar freuen, dass ausgerechnet ein Minister seiner Partei für positive Schlagzeilen sorgt; dass er sogar dem Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) in der öffentlichen Wahrnehmung als Krisenmanager den Rang abläuft. So kurz vor den Europawahlen im Juli und der Bundestagswahl im Herbst kann das nur gut sein. Anderseits gilt Seehofer aber als äußerst machtbewusst. Manche in der Partei bezeichnen ihn sogar als intrigant. Sehr genau wird er deshalb registrieren, wie der junge Guttenberg nicht nur dem SPD-Vize Steinbrück das Wasser abgräbt. Auch Seehofers eigenes Licht wirkt angesichts von Guttenbergs Auftritten ziemlich blass.
Erst recht gilt das, weil Seehofer derzeit alles andere als einen guten Lauf hat. In der Partei beklagt so mancher seinen Umgang mit altgedienten Politikern wie Michael Glos, den er hinterrücks aus dem Amt gemobbt haben soll. Noch schlimmer aber wirken in der öffentlichen Diskussion Seehofers steuerpolitische Kapriolen, mit denen er versucht, auf Kosten der Schwesterpartei CDU Stimmen in Bayern zu sammeln. Erst will der Ministerpräsident die Mehrwertsteuer für bestimmte Dienstleistungen senken, dann rückt er davon wieder ab, um kurz darauf doch wieder über Änderungen nachzudenken. „Irgendwann will er auch noch die Mehrwertsteuer auf das Futter für Esel senken“, lästert man in der Koalition über ihn. Kaum einer versteht, was Seehofer in der Sache will. Er selbst offenbar auch nicht. Unguided Missile nennt man so etwas im Englischen, eine gefährliche Rakete, deren Steuerung defekt ist. So was macht sich in der öffentlichen Wahrnehmung nie gut.
Guttenberg dagegen steht in dieser Diskussion sauber da. Gerade noch rechtzeitig ist ihm ein Weg eingefallen, wie er als der Ordnungspolitiker, den er bei Opel gibt, glaubwürdig bleibt, ohne Seehofer öffentlich in den Rücken zu fallen: „Ich rede von einer grundlegenden Reform der Mehrwertsteuer“, sagt er, angesprochen auf den Zickzack-Kurs seines Parteichefs. Er habe nie etwas davon gehalten, weitere Ausnahmeregelungen zu schaffen. Guttenberg weiß, dass man ihn hier auf dünnes Eis zu führen versucht. Sein jungenhaftes Grinsen spricht Bände. Noch wird Seehofer damit leben können.
Erst wenn er nach schlechten Ergebnissen bei den Wahlen in diesem Jahr unter Druck kommt, könnte der Parteichef in seinem Minister zunehmend auch eine Gefahr für das eigene Bild in der Partei sehen. Die vielen Fotos und Nachrichten, die jetzt für Guttenberg sprechen, könnte er dann zu dessen Ungunsten auslegen – erst recht jenes Bild vom Times Square in New York. Volksnähe war für Seehofer schon immer ein Attribut, das er gern für seinen eigenen Populismus verwendete. Was Volksnähe ist, definiert Seehofers selbst. Fehlt sie jemandem, lässt sich das auch gut gegen ihn verwenden. Bis es aber soweit kommt, dürfte Guttenberg alle Freiheiten haben, die er sich wünscht.
Das gilt erst recht, wenn er von seinen Gesprächen mit US-Finanzminister Timothy Geithner in dieser Nacht gute Nachrichten mitbringt. Denn Seehofers Mann wäre dann vor dem ungeliebten SPD-Politiker Steinbrück zu Besuch bei jenem Politiker gewesen, der für die Bewältigung der Finanzkrise in den USA zuständig ist. Mit Guttenbergs Vorgänger Glos hatte Steinbrück sich um solche Termine nie schlagen müssen. Da galt er noch als der weltgewandte Politiker. Nun hat er eine würdige Konkurrenz gefunden.