Immer wieder ist zu hören, dass die deutsche Jugend verroht. Eine aktuelle Studie zeigt jedoch das Gegenteil. Die Gewalt unter Schülern in Deutschland sinkt. Den Grund sehen Experten vor allem darin, dass auch in Familien die Gewalt abnimmt. Winnenden sei nicht repräsentativ für die Jugendgewalt in Deutschland.
Spätestens nach dem Amoklauf von Winnenden ist das Thema Gewalt unter Jugendlichen wieder aktuell geworden. Eine neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigt jedoch: Die Gewalt unter Schülern in Deutschland steigt nicht mehr oder sinkt sogar leicht.
Ein Vergleich von acht Städten ergab, dass von 1998 bis heute die Quote der Jugendlichen, die im Jahr vor der Befragung mindestens eine Gewalttat begangen haben, in keiner Stadt gestiegen und zumeist sogar beträchtlich gesunken ist. Die Quote lag vor zehn Jahren zwischen 17,3 und 24,9 Prozent, in den Jahren 2005 bis 2008 aber nur noch zwischen 11,5 und 18,1 Prozent.
Innenminister Schäuble sagte, dies seien „ermutigende Verbesserungen“. Zum Amoklauf von Winnenden mit 16 Toten sagte Schäuble, dieser sei nicht repräsentativ und nicht typisch für die Jugendgewalt in Deutschland. Die Bundesregierung werde den Fall aber prüfen und daraus alle notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.
Forderungen, Schusswaffen in Privathaushalten ganz zu verbieten, wies der Innenminister aber zurück. Er wolle in seiner Eigenschaft als Sportminister die Schützen und Jäger in Schutz nehmen. Alle sollten sich vor „Verallgemeinerungen“ und vorschnellen Schlüssen hüten.
Der Direktor des Forschungsinstituts, Christian Pfeiffer, nannte als Gründe für die offenbar sinkende Jugendgewalt, dass generell die Gewalt in den Familien gesunken sei und somit als starker Auslöser für Gewalttätigkeiten von Heranwachsenden wegfalle. In den Schulen herrsche zudem eine neue „Kultur des Hinschauens“, lobte der Wissenschaftler.
Auch gebe es eine höhere Bereitschaft, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, was Gewalttäter abschrecke. Zudem habe auch die Akzeptanz von Gewalt unter den Schülern messbar abgenommen.
Medienberichte über einen drastischen Anstieg der Jugendgewalt werden von den neuen Ergebnissen nicht gestützt, wie Pfeiffer sagte. Laut Statistik sei etwa die Zahl meldepflichtiger „Rauf-Unfälle“, bei denen ein Arzt verletzten Schülern helfen musste, zwischen 1997 und 2007 um 31,3 Prozent gesunken.
Die Tatsache, dass die Polizei eine steigende Jugendgewalt misst, steht den Forschern zufolge dazu nicht im Widerspruch. Vielmehr habe die Polizei an Schulen erfolgreich um Vertrauen geworben, was die Anzeigebereitschaft der jugendlichen Opfer gefördert habe.
Für die Studie wurden 2007 und 2008 insgesamt 44.610 Schüler der neunten Klasse aus 61 repräsentativ ausgewählten Landkreisen befragt. Sie waren im Schnitt 15 Jahre alt. Von ihnen sind im Jahr vor der Befragung 16,8 Prozent mindestens einmal Opfer einer Gewalttat geworden, bei 3,9 Prozent sind es fünf oder mehr derartige Opfererfahrungen.
Bei den Mehrfachtätern erreichen Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien mit 9,4 Prozent den höchsten Wert, gefolgt von jungen Türken. Am anderen Ende der Skala stehen Jugendliche aus Deutschland und Asien. Diese Unterscheide gleichen sich aber vollständig aus, wenn man Jugendliche unterschiedlicher Herkunft vergleicht, die dasselbe schulische, familiäre und soziale Umfeld haben, wie Pfeiffer betonte.