Freitag, 13 März 2009
In der Schweiz entsteht ein Jahrhundertbauwerk - der Gotthard-Basistunnel. 2600 Kumpel kämpfen sich mit Bohrern und Sprengstoff durch die Alpen. Ab 2017 sollen Züge mit 250 Stundenkilometern durch den längsten Tunnel der Welt rasen. Eine Zwischenbilanz nach 10 Jahren Bauzeit.
Riesige Maschinen fräsen eine Doppelröhre von 57 Kilometern Länge durch die Alpen. Seit 1999 beißen sich ihre Bohrköpfe durch gleich mehrere Gebirgszüge in der Schweiz und hinterlassen den längsten Tunnel der Welt. Ihre Ausmaße passen in die gewaltige Umgebung aus bis zu dreitausend Meter hohen Felsmassiven. Die Maschinen messen neun Meter im Durchmesser und sind mehr als 400 Meter lang. Täglich graben sich die Bohrwürmer bis zu 20 Meter ins Gestein, zehn Motoren mit je 5.000 PS treiben ihre Bohrköpfe an. Mit unglaublichem Aufwand erweitern Ingenieure und Arbeiter aus aller Welt das Nadelöhr Europas.
Lesen Sie außerdem:
Durchbruch für 2011 geplant
Der Durchbruch ist für 2011 geplant. Ab dem Jahr 2017 sollen täglich mehrere Hochgeschwindigkeitszüge mit bis zu 250 Stundenkilometren durch die beiden Röhren rasen. Die Fahrtzeit zwischen Zürich und Mailand wird sich um mehr als eine Stunde verkürzen - die Alpen als natürliches Hindernis zwischen Nord- und Südeuropa werden dann überwunden sein. Statt über atemberaubende Viadukte zu rollen, werden die Passagiere bald beinah ebenerdig von Zürich nach Norditalien brausen.
Suezkanal Europas
Der Gotthard-Basistunnel ist der größte Teil der Schweizer Alpentransversale, die sich über zwei weitere Tunnel, den 15 Kilometer langen Basistunnel zwischen Bellinzona und Lugano im Tessin, und einer weiteren Röhre zwischen Zürich und Zuger See auf bald 100 Kilometer erstreckt. Der unterirdische Pass durch die Alpen ist ein Jahrhundertbauwerk - in seiner Bedeutung vergleichbar mit dem Suez- oder Panama-Kanal. Von den ersten Sondierungen bis zur Fertigstellung werden 25 Jahre vergehen.
Allein für die Grabungen am Gotthard schuften 2600 Bergeleute in Schichten rund um die Uhr. Dabei wird der Tunnel nicht nur von einer Seite in die Berge getrieben. Würden sich die Mineure nur von den Endpunkten her durch das Zentralmassiv graben, bräuchten sie für den Rohbau fast 20 Jahre. Deshalb drangen sie neben den beiden Portalen, Erstfeld im Norden und Bodio im Süden, an drei weiteren Stellen in den Berg ein. Während von den Dörfern Faido und Amsteg zwei Stollen mehr oder weniger waagrecht bis zum künftigen Streckenverlauf gegraben wurden, mussten die Bergleute im 1400 Meter hoch gelegenen bündnerischen Bergdorf Sedrun erst einmal einen senkrechten Schacht 800 Meter tief in das Gestein sprengen, um an die nur 550 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Tunnelbasis zu kommen. Vom Südeingang Bodio aus hat man nun den Durchbruch zum nächstfolgenden Abschnitt Faido bereits geschafft. Beide Maschinen sind an der dortigen Multifunktionsschnittstelle für den künftigen Zugverkehr angekommen. Die Minenarbeiter leisteten präzise Arbeit: Planung und Durchbruch wichen nur wenige Zentimeter voneinander ab. Mittlerweile arbeiten sich die beiden Bohrer weiter Richtung Norden zum Abschnitt Sedrun vor. Auch dort wurde bereits Erstaunliches geleistet.
160 Tonnen Sprengstoff für 800 Meter
Bei Sedrun befindet sich die zweite Multifunktionsschnittstelle für den Zugverkehr. Züge können an diesen Schnittstellen die Spur wechseln und bei Problemen Zwischenstopps einlegen. Eine der größten Herausforderung bei den Baumaßnahmen, war das Abteufen des 800 Meter langen vertikalen Zugangsschachts auf die Basis des neuen Gotthardtunnels. Die Mineure drangen wegen der vielen Gesteinsschichten lediglich drei Meter pro Tag in den Fels vor. 13 Monate dauerte der Knochenjob. Nach jeder Sprengung mussten die Felswände mit Felsankern und Spritzbeton gegen eindringendes Bergwasser und Steinschlag gesichert werden. Der durch Sprengung abgeschlagene Fels wurde mit großen Kübeln zum Schachtkopf hochgezogen. Der Sprengmeister musste kontinuierlich die Anzahl der Sprenglöcher erhöhen - von 130 auf 170 pro Zündung. Auch die Menge des Sprengstoffs stieg auf bis zu 615 Kilogramm für eine Detonation. Insgesamt wurden allein für diesen Schacht 160 Tonnen Sprengstoff gezündet. Doch Sprengungen allein reichen heutzutage für den Tunnelbau nicht mehr aus. Neue technische Geräte schaffen weitere Möglichkeiten.
Martin Herrenknecht erkannte schon früh, dass in Ländern wie der Schweiz ein enormes Bedürfnis nach Hightech-Equipment im Tunnelbau besteht. Sein Unternehmen entwickelt und produziert die beim Gotthard-Tunnel eingesetzten Tunnelbohrmaschinen (TBM). Die computergesteuerten Riesen ermöglichen, was früher undenkbar war.
Die Tunnelfabrik
Die speziell auf das Gotthard-Massiv abgestimmten Tunnelbohrmaschinen lassen den Fels mit hohem Druck platzen. Die 58 Rollmeißel des Bohrkopfs drücken mit einer Kraft von je 25 Tonnen gegen das Gestein. Der Schutt wird durch eingebaute Kanäle auf der Rückseite weggeschafft. Greifarme pressen sich gegen die Tunnelwand und schieben die Maschine nach vorne. Damit keine großen Felsblöcke aus der Decke und den Wänden ausbrechen, werden hinter dem Bohrkopf sofort bis zu vier Meter lange Sicherungsanker in den Fels gebohrt. Gleichzeitig drückt die Maschine Stahlnetze an Decke und Wand, die mit Ankern festgeschraubt werden und so den Tunnel vor herabstürzenden Trümmern schützen.
Im Cockpit des Wurms
Die TBMs werden von einem zentralen Arbeitsplatz in der Maschine aus gesteuert. Jede Bewegung des Bohrers wird dort angezeigt. Gleichzeitig werden die Daten in die technische Zentrale übertragen und dort kontrolliert. Die Techniker steuern den riesigen Wurm mittels GPRS. Bereits kleine Abweichungen könnten sich katastrophal auswirken. Deshalb kontrollieren Vermessungsexperten nochmals unabhängig von den GPRS-Daten die Position. Bereits die Inbetriebnahme des gigantischen Bohrers forderte einen enormen technischen und logistischen Aufwand. Allein die Montage der 90.000 Einzelteile dauerte ein halbes Jahr. Die aufwändige Planung des Tunnelbaus verschlang sogar ein ganzes Jahrzehnt. Doch die Mühe dürfte sich lohnen: Denn der Gotthard-Tunnel wird die Verkehrsplanung in Europa entscheidend verändern.
Der neue Eisenbahntunnel lässt Nord- und Südeuropa enger zusammenrücken. Europas Hochgeschwindigkeitszüge, allen voran der deutsche ICE und der französische TGV, können endlich die Alpen passieren. Bisher waren für diese Züge die Steigungen zu groß und die Kurven zu eng.
Güterzüge entlasten Straßen
Der europäische Güterverkehr durch die Alpen belastet die Straßen und damit auch die Umwelt enorm. Der Schienenverkehr wird, sobald der Eisenbahn-Tunnel fertiggestellt ist, einen Großteil des Güterverkehrs übernehmen. Auf der Gotthardachse fuhren 1997 täglich zwischen 110 und 130 Güterzüge. Nach der Fertigstellung wird sich der Schienenverkehr auf 200 bis 220 Züge täglich erhöhen. Dies entspricht einer Transportkapazität von rund 40 Millionen Tonnen pro Jahr - doppelt so viel wie heute.
Sicherheit fährt mit
Sicherheit spielt im Gotthard-Tunnel eine besondere Rolle. Entscheidend ist ein ausgewogenes Zusammenspiel baulicher, betrieblicher, lüftungs- und rettungstechnischer Maßnahmen. Zwei Einspurröhren im Abstand von rund 40 Metern, Querschläge alle 325 Meter, zwei Nothaltestellen und zwei doppelte Spurwechsel garantieren ab 2017 die Sicherheit des Reiseverkehrs.
In 11 Sekunden in 800 Meter Tiefe
Von dem Gotthard-Basistunnel könnte vor allem auch die abgelegene Bergregion um Sedrun profitieren. Schnellzüge im Stundentakt könnten die Graubündner Bergwelt mit den wirtschaftlich starken Ballungsräumen nördlich und südlich der Alpen in Verbindung bringen und als Naherholungsgebiet attraktiv machen. Schon jetzt ist die "Porta Alpina", so der Name für die tiefste Bahnstation in der Mitte des längsten Tunnels der Welt, ein Touristenmagnet. Eine Liftfahrt vom Bahngleis in die 800 Meter höher gelegene Bergwelt dauert gerade mal 70 Sekunden. Doch eben in diesen Superlativen sehen Kritiker derzeit auch noch Gefahren. Beispielsweise könnte eine derart rasante Liftfahrt von über 11 Metern pro Sekunde bei empfindlichen Passagieren zu gesundheitlichen Problemen führen. Ungeklärt ist auch noch, wo die Reisenden zu Spitzenzeiten auf ihren Lift warten sollen. Denn die Liftkapazität wird auf 80 Personen begrenzt sein. Der Bau von abgeschotteten Warteräumen würde notwendig - genauso wie eine verkehrsgünstige Anbindung an der Oberfläche, damit die Touristen ohne größeren Zeitverlust entweder zum Bahnhof nach Sedrun oder direkt in das Skigebiet gebracht werden können.
Lesen Sie außerdem:
|