Welt Online, 12.03.2009
Einen Tag nach dem Amoklauf von Winnenden diskutieren Politik und Experten über mögliche Konsequenzen. Der Psychologe Christian Lüdke fordert, die Schule zu schließen, um die Kinder vor Traumata zu schützen. Eine Verschärfung des Waffenrechts halten Experten bislang für unnötig. Dafür warnen sie vor Nachahmern.
Nach diesen Erfahrungen könnten die Schüler nie wieder unbeschwert in ihre Schule zurückkehren, sagte der Psychologe und Trauma- Spezialist Christian Lüdke. In der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse“ forderte er deshalb die Schließung der Albertville-Schule.
„Die Schule ist zum Tatort geworden. Dort darf kein Unterricht mehr stattfinden.“ Schlimmstenfalls könnten Kinder sonst noch in einigen Wochen in das Trauma des Tat-Tages zurückversetzt werden. „Da hilft es auch nicht, wenn man die Wände streicht“, sagte der Experte. Lüdke hatte 2002 nach dem Amoklauf am Erfurter Guttenberg-Gymnasium die Schüler betreut.
Allerdings sind sich Experten sicher, dass man solche Amokläufe nie mit Sicherheit verhindern kann. „Wir können uns um Außenseiter kümmern, um Jugendliche, die in Krisensituationen sind. Aber verhindern können wir Amokläufe nicht“, sagte der Leiter des Kriminologischen Instituts in Hannover, Christian Pfeiffer, der „Wetzlarer Neuen Zeitung“. Auch ein stärkerer Polizeischutz für Schulen bringe nichts. „Mehr Polizeipräsenz erhöht eher noch das Risiko von Amokläufen“, sagte Pfeiffer. „Es könnte sein, dass die Schule für den Täter ein Ort der subjektiven Erniedrigung war.“
Der Psychologe Jens Hoffmann von der Technischen Universität Darmstadt glaubt, dass Amokläufe leicht Nachahmertaten hervorrufen können. Man müsse sehr viel aufmerksamer auf Warnsignale achten, die Schüler häufig lange vor Amoktaten aussendeten. "Jugendlich verraten viel stärker als Erwachsene ihre Pläne und kündigen die Tat am Ende oft auch an“, sagte er. „Die Schulen haben sich zu lange weggeduckt, aber das verändert sich glücklicherweise langsam.“
Der Deutsche Lehrerverband forderte mehr psychologisches Personal an Schulen. Auch die Ausbildung von Streitschlichtern unter den Schülern sowie Deeskalationstrainings seien geeignete Maßnahmen, sagte der Verbandsvorsitzende Josef Kraus der „Neuen Presse“.
Zu den Ursachen der Eskalation zählt Schwind eine „über längere Zeit aufgestaute Wut beziehungsweise Frustration und das Fehlen von Bezugspersonen“. Eltern hätten heute oft zu wenig Zeit, um sich um die Probleme ihrer Kinder hinreichend kümmern zu können. Dazu zählten Schulversagen, Mobbing oder körperliche Angriffe von Mitschülern. „So reift allmählich der Tatplan, unterstützt durch Videovorlagen und zum Beispiel die Griffnähe von legalen Waffen, die der Vater im Schrank unzuverlässig verwahrt“, sagte Schwind.
Kaum jemand wisse, dass in Deutschland zehn Millionen legale Waffen und geschätzte rund 20 Millionen illegale Waffen im Umlauf seien, führte der Kriminologe aus. Jugendliche hätten darauf noch immer einen viel zu leichten Zugriff, weil sie einfach nur den Schlüssel für den Waffenschrank finden müssten.
Die Behörden in Baden-Württemberg schalteten für besorgte Eltern eine Hotline unter der Nummer 0711 90440149
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