Welt Online, 27.01.2009
Das Bundeskabinett will am Dienstag das größte Konjunkturpaket der deutschen Nachkriegszeit beschließen. Nach Meinung des FDP-Haushaltsexperten Otto Fricke wird sich die von Finanzminister Steinbrück angekündigte Neuverschuldung mehr als verdoppeln. Auch aus den eigenen Reihen ernten Union und SPD Kritik. Die Bundesregierung will am Dienstag das größte Konjunkturpaket der deutschen Nachkriegsgeschichte beschließen. Es sieht für dieses und das kommende Jahr Konjunkturhilfen von bis zu 50 Milliarden Euro vor. Neben Entlastungen der Bürger und Unternehmen bei Steuern und Abgaben sind zusätzliche Investitionen geplant. Teil des Konjunkturpakets ist auch die Abwrackprämie, mit der nach Verschrottung von Alt-Autos der Kauf neuer Pkw angekurbelt werden soll. Wegen der Konjunkturhilfen und der Wirtschaftskrise muss Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) deutlich mehr neue Schulden machen. Das Kabinett bringt daher für 2009 einen Nachtragsetat auf den Weg, der eine Neuverschuldung von 36,8 Milliarden Euro vorsieht. Der Vorsitzende des Bundestagshaushaltsausschusses, Otto Fricke (FDP), wirft Steinbrück „Taschenspielertricks“ bei der Vorlage des Nachtragshaushalts vor. Rechne man den Tilgungsfonds und das bisher für 2009 absehbare Bankenrettungspaket hinzu, liege die Neuverschuldung von Bund und Ländern 2009 in Wahrheit bei 74,3 Milliarden Euro, sagte Fricke der „Rheinischen Post“. „Steinbrück ist Rekordverschuldungsminister“, fügte er hinzu.
Fricke bezog dem Blatt zufolge auch die Neuverschuldung der Länder in Höhe von 6,5 Milliarden Euro in seine Rechnung ein. Die Eigenkapitalhilfen für die Commerzbank in Höhe von 10 Milliarden Euro sowie der Investitions- und Tilgungsfonds im Konjunkturpaket II im Umfang von 21 Milliarden Euro seien ebenfalls „maastricht-relevant“, betonte Fricke. „Mit den Gemeindeschulden und den zu erwartenden Schulden der Krankenkassen reißt Steinbrück schon dieses Jahr die Drei-Prozent-Verschuldungsgrenze des Maastrichtvertrags deutlich“, kritisierte Fricke.
Union und SPD seien bei ihrem Kernziel, der Haushaltskonsolidierung, gescheitert. „Und das, obwohl Schwarz-Rot in den Jahren ihrer politischen Verantwortung insgesamt 150 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen zur Verfügung standen“, sagte Fricke.
Vor der Verabschiedung des zweiten Konjunkturpakets im Kabinett haben SPD-Politiker die Länder vor einer Blockade des Vorhabens gewarnt. „Niedrigere Krankenkassenbeiträge sichern Arbeitsplätze, Investitionen in Krankenhäuser bedeuten Aufträge für den Mittelstand“, sagte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) der „Frankfurter Rundschau“. Mit dem Geld könnten „längst überfällige zusätzliche Investitionen für Kliniken zügig umgesetzt werden“. Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil forderte, das Paket müsse zügig im Bundesrat verabschiedet werden. Er mahnte die Länder, wie vereinbart 75 Prozent an die Kommunen weiterzuleiten.
Der Grünen-Haushaltspolitiker Alexander Bonde vermisst bei den Konjunkturhilfen der Bundesregierung ausreichende Kontrollmöglichkeiten. „Echte parlamentarische Kontrolle ist bei der Bankenrettung im Grunde nicht mehr gewährleistet“, kritisierte er im „Südkurier“. Bonde ist Mitglied des Gremiums, das den 480-Milliarden-Euro-Fonds für die Banken beaufsichtigen soll. Statt nachzuprüfen, „werden im neuen Konjunkturpaket erneut 100 Milliarden Euro Steuergeld für eine Aufgabe bereitgestellt, die der Fonds eigentlich schon hätte erfüllen müssen – die Sicherstellung der Mittelstandsfinanzierung“.
Der CDU-Haushaltspolitiker Steffen Kampeter warf der SPD vor, harte Schuldenregeln verhindern zu wollen. „Die SPD ist auf der Flucht in den Schuldenstaat“, sagte er der „Stuttgarter Zeitung“. Er werde dem zweiten Konjunkturpaket bei der Verabschiedung im Parlament nur zustimmen, wenn bis Mitte Februar das Konzept über die Schuldenbremse in den Bundestag eingebracht werde.
Scharfe Kritik am Koalitionskompromiss zur Kfz-Steuer äußerte die Grünen-Umweltexpertin Bärbel Höhn. Das Konzept sei „eine klassische Mogelpackung der großen Koalition“, sagte die Bundestagsabgeordnete der „Saarbrücker Zeitung“. „Darauf steht Klimaschutz, tatsächlich ändert sich wenig am Status Quo.“ Wenn die Steuer wirklich am Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) ausgerichtet worden wäre, müssten Halter von Geländewagen doppelt so viel zahlen wie bisher. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der Verband der Autoindustrie (VDA) und der Autoclub ADAC hatten die Einigung dagegen begrüßt.
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