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Hauptseite » 2008 » September » 25 » Ist der Kapitalismus noch zu retten?
Ist der Kapitalismus noch zu retten?
11:29
www.welt.de - 24.09.2008 22:07
 

Die Finanzkrise kommt der Pleite des Sozialismus gleich: Der freie Markt hat versagt, meint Eckhard Fuhr, Feuilleton-Chef der WELT. Er streitet mit dem Wirtschafts-Chef Jörg Eigendorf. Der widerspricht: Die Menschheit braucht die Marktwirtschaft. Beide Journalisten haben Rezepte gegen die Gier der Manager.

Freier Markt, was nun? Ist die Finanzkrise das Ende des Neoliberalismus – oder nur ein vorübergehender Einbruch? Hat der Markt versagt oder der Staat? Nutzt das Streben nach Reichtum allen – oder stürzt die Gier einiger viele in die Armut? Darüber streiten Jörg Eigendorf, Wirtschaftschef der WELT, und Eckhard Fuhr, Leiter des Feuilletons.

Eckhard Fuhr: Als vor zwanzig Jahren der „real existierende Sozialismus“ zusammenbrach, schien prinzipieller Kritik an der Idee des freien Marktes ein für allemal der Boden entzogen worden zu sein. Die sozialistische Planwirtschaft hatte zu viel Armut und Unfreiheit hervorgebracht und zu viele Menschen das Leben gekostet, als dass ihre Theorie noch irgendeinen intellektuellen Kredit hätte beanspruchen können. Nur einige Traumtänzer sprachen damals davon, dass die Idee richtig, nur die Praxis falsch gewesen sei. Man hörte ihnen nicht zu, sie waren traurige Figuren.

Der Zusammenbruch der amerikanischen Finanzwirtschaft mit seinen immer noch nicht absehbaren weltweiten Folgen ist eine ähnliche Zäsur wie das Wendejahr 1989/90. Wieder geht eine Menschheitsoption unter: das – „angelsächsische“ – Modell eines globalen Finanzkapitalismus, der mit dem Versprechen auftrat, die Gier der Spekulanten zum Antrieb für eine bisher nicht gekannte Wohlstandsmehrung überall auf der Welt zu machen. Wenn der amerikanische Staat nun versucht, mit der unvorstellbaren Summe von 700 Milliarden Dollar die Verluste der Finanzwirtschaft zu sozialisieren, so ist das nicht nur eine politisch wohl unabweisbare Notmaßnahme, sondern auch der Bankrott der (neo-)liberalen Wirtschaftstheorie. Der Leuchtturm Amerika hat sich selbst abgeschaltet.

Jörg Eigendorf: Die Radikalität von Geisteswissenschaftlern in Ehren – aber es bedarf schon etwas mehr als eine Bankenkrise, um den Leuchtturm Amerika abzuschalten. Sowohl mit Blick auf die geschichtliche Tragweite als auch auf die wirtschaftliche Dimension werden Historiker dem Fall des Eisernen Vorhangs eine weitaus größere Bedeutung beimessen als dieser Krise. Zumal wir nicht alles so schlecht machen sollten, wie es im Augenblick erscheint: Wir sehen gerade auf eine bislang einmalige Phase wirtschaftlichen Wachstums zurück, die fast zwei Jahrzehnte angedauert hat. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind weite Teile der Welt in die globale Wirtschaft integriert worden. Über eine Milliarde Menschen zusätzlich nehmen nun an einem Wohlstand teil, den wir über Jahrzehnte als Privileg der westlichen Welt angesehen haben. Es ist eine globale Mittelschicht entstanden. Diesen Erfolg kann eine Finanzkrise, wie schwer sie auch sein mag, nicht zunichte machen.

Und bevor wir nun kollektiv die neoliberale Wirtschaftstheorie beerdigen, sollten wir zumindest noch ein paar Fragen beantworten: Wie ist es zu erklären, dass diese Krise ausgerechnet in dem Teil der Volkswirtschaft ausgebrochen ist, der am stärksten reguliert ist – dem Bankenwesen? Und war es Staats- oder Marktversagen, dass die amerikanische Notenbank die Volkswirtschaft immerzu mit Geld geflutet hat und die Regierung jedem Amerikaner, ganz gleich wie es um ihn finanziell bestellt war, sein Häuschen finanzieren wollte?

Nein, hier liegt mindestens so viel Staatsversagen wie Marktversagen vor. Schlimmer noch: Staatliches Versagen hat überhaupt erst die Grundlagen für dieses Desaster geschaffen.

Fuhr: Das, was in Amerika vor sich geht, „eine Bankenkrise“ zu nennen – wie es schon viele gab und wie noch viele kommen werden – ist ein purer Euphemismus. Selbst amerikanische Banker und Kommentatoren sprechen vom Ende einer Epoche. Nichts werde mehr so sein, wie es war. Das Vertrauen in die Finanzwirtschaft und ihre Akteure ist auf absehbare Zeit erschüttert. Vertrauen aber ist ihr wesentlicher Betriebsstoff. Man muss sich nur einmal vorstellen, was es für eine Gesellschaft psychisch und materiell bedeutet, wenn die kapitalgedeckten Formen von Alterssicherung zunehmend zweifelhaft werden. Der Ratschlag, geduldig und zuversichtlich zu sein, ist billig. Wirtschaftliche Zyklen nehmen nun einmal keine Rücksicht auf die Biografien von Menschen. Und die Allerwenigsten bringen den heroischen Fatalismus auf, die gigantische Wertvernichtung dieser Krise als eine „Reinigung“ zu betrachten. Selbst die staatsskeptischen Amerikaner erwarten von ihrem Staat, dass er sie vor den schlimmsten Folgen dieses wirtschaftlichen Tsunamis bewahrt – mit der Folge, dass der Staatsinterventionismus in Amerika Formen annimmt, die an eine Rückkehr des Sozialismus am falschen Ende der Welt denken lassen. Ein Leuchtfeuer, an dem die Welt sich orientieren könnte, ist da wahrlich nicht mehr zu sehen. Als robuster Exporteur von Demokratie und Marktwirtschaft wollte Amerika sich in der Welt dominierenden Einfluss und Vertrauen sichern. Damit ist es gescheitert. Das Bild Amerikas in der Welt ist das eines Exporteurs von Unsicherheit.

Die Frage, warum die Krise ausgerechnet in dem „Teil der Volkswirtschaft ausgebrochen ist, der am stärksten reguliert ist – dem Bankenwesen“, ist wohl eher ein rhetorischer Trick. Wäre die Krise bei noch weniger Regulierung etwa vermeidbar gewesen? Welche Art von Regulierung soll das sein in einem Spiel mit Finanzprodukten, die selbst Finanzfachleute nicht mehr verstehen? Das virtuelle Zocken hat sich einen Raum geöffnet, in den Regularien gar nicht mehr hineinreichen. Und es hat die Mentalität im Bankwesen nachhaltig verändert. Wo Regeln nicht verinnerlicht werden, hilft alles Regulieren nichts. Es gibt ideelle Voraussetzungen, die der Markt selbst nicht hervorbringt, sehr wohl aber vernichten kann. Das muss man dann Marktversagen nennen.

Eigendorf: Was ist dann die Conclusio, wenn „alles Regulieren nichts“ hilft? Die Verstaatlichung des kompletten Bankenwesens? Oder sollen wir in Zukunft ganz ohne Banken auskommen? Krisen gehören zur Marktwirtschaft, denn sie schaffen Bewusstsein für Risiken und setzen damit Grenzen. Gerade die amerikanische Gesellschaft hat schon nach der Großen Depression und vielen anderen Rückschlägen bewiesen, dass sie aus solchen Phasen die richtigen Lehren zieht.

Fuhr: Nein, nötig ist die Erziehung eines ganzen Berufsstandes, die Rückbesinnung auf die gute alte Kaufmannsmoral, die Rückkehr zu realistischen Renditeerwartungen: also eine Kulturrevolution, die wie jede wirkliche Revolution reaktionär ist und aus der Vergangenheit schöpft. Das ist der einzige Brunnen, den wir haben.

Eigendorf: Wie soll das denn funktionieren? Wollen wir nun alle Manager auf eine staatliche Erziehungsakademie schicken und ein Abschlussexamen in Ethik und Moral machen lassen? Und Oskar Lafontaine überreicht dann die Abschlussurkunde! Diese „reaktionäre Revolution“ ist eine Träumerei, sie hängt einer Welt an, die es nie gab und nie geben wird – genauso wenig wie die allseits heile Kaufmannswelt. Nicht umsonst hat Thomas Mann mit den „Buddenbrooks“ den schleichenden Verfall einer ach so ehrbaren Kaufmannsfamilie geschildert. Fünf Weltreligionen und etliche Generationen von Geisteswissenschaftlern haben es nicht geschafft, ein einheitliches Bild vom idealen Menschen zu entwerfen. Und Maos Kulturrevolution endete im Desaster. Den gierfreien Menschen gibt es immer noch nicht, es gab ihn auch nie im Sozialismus. Es braucht deshalb eine Wirtschaftsordnung, die das natürliche Streben nach Reichtum in produktive Bahnen lenkt und so Gemeinwohl fördert – bei allen Schwierigkeiten, dafür den optimalen Rahmen zu setzen.

Das Ausmaß und die Folgen dieser Krise werden sicher historisch sein. Aber nicht historisch in dem Sinne, dass wir nun den dritten Weg finden müssten zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft. Wer hier die Rückkehr des Sozialismus am falschen Ende der Welt proklamiert, der ist blind für die Tatsache, wie viele Menschen heute von der Marktwirtschaft profitieren, die einst im Sozialismus gedarbt haben. Wer die Marktwirtschaft an sich infrage stellt, will diese Menschen zurück in die Armut schicken.

Fuhr: Über die „Marktwirtschaft an sich“ und die Nichtexistenz des „idealen Menschen“ können wir uns schnell einigen. Zu solchem Realismus sind sogar Geisteswissenschaftler fähig. Wie viele Menschen in einer von spekulativem Finanzkapital beherrschten globalen Wirtschaft in die Armut gestoßen und in Armut gehalten werden, das gehört aber auch in die Bilanz. Und eine auch politisch artikulierte Vorstellung von der guten Ordnung der Gesellschaft ist eine kulturelle Errungenschaft, die man dem bloß individuellen Streben nach Glück nicht opfern darf. Darauf sollte man sich nach dem globalkapitalistischen Entfesselungsdesaster besinnen. Die Zeiten der Staatsverachtung sollten vorbei sein.

Eigendorf: Die Menschen in Russland, Indien und China sehen dieses vermeintlich „globalkapitalistische Entfesslungsdesaster“ weitaus gelassener als die Asienkrise Ende der 90er-Jahre. Aber eines stimmt: Den Staat sollte man nicht verachten und auch nicht wegrationalisieren. In dieser Krise zeigt sich, wie wichtig staatliches Handeln im entscheidenden Moment ist, um das Vertrauen in den Markt wiederherzustellen. Noch gefährlicher als die Staatsverachtung aber ist der Irrglaube, der Staat könne es richten und dauerhaft für Wohlstand sorgen. Die gesetzliche Rente ist ein Verlustgeschäft, die Bankenaufsicht hat weltweit versagt, die Wirtschaft leidet gerade hierzulande an bürokratischen Fesseln. Jetzt besteht die Gefahr, dass das wiedererwachte Primat der Politik die Freiheit im hayekschen Sinne zerstört.

Wir sollten uns wieder auf die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft besinnen, wie sie ihre Väter Walter Eucken, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard verstanden haben. Danach beschränkt sich der Staat darauf, den Rahmen zu setzen, damit sich die Kraft des Wettbewerbs fair entfalten kann. Denn eines war Hayek wie Erhard bewusst: Der Staat, das sind nur einige wenige. Der Markt, das sind wir alle.

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