BERLIN. Zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDPBundestagsfraktion "Maßnahmen gegen das Aalsterben, verbesserte Bedingungen für die Aalwanderung" (BT-Drs. 16/12874) erklärt die Fischereiexpertin der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Christel HAPPACH-KASAN: Der Bestand des Europäischen Aals befindet sich nach Einschätzung des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) derzeit "außerhalb sicherer biologischer Grenzen". In der "Roten Liste der gefährdeten Tiere Deutschlands" wird der Aal ebenfalls als "gefährdet" eingestuft. Hauptursachen für den dramatischen Rückgang der Aalbestände sind der Export der Glasaale in den ostasiatischen Raum sowie die Tötung der Blankaale in Wasserkraftanlagen. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU wurde die „Verordnung mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals“, (EG Nr. 1100/2007) verabschiedet. Mit dieser Verordnung werden Rahmenbedingungen sowohl für den Schutz des Aals als auch seine nachhaltige Nutzung festgelegt. Dazu gehört, die anthropogene Mortalität zu verringern und „die Abwanderung von 40 % derjenigen Biomasse an Blankaalen ins Meer zuzulassen, die gemäß der bestmöglichen Schätzung ohne Beeinflussung des Bestands durch anthropogene Einflüsse ins Meer abgewandert wären.“ Aale laichen in der Sargasso-See im mittleren Westatlantik vor der Küste Floridas. Die Aal-Larven werden durch den Golfstrom an die Küsten West- Europas getrieben und steigen als kleine "Glasaale" in die Flüsse und Bäche auf. Dort wachsen sie im Laufe mehrerer Jahre heran. Die geschlechtsreifen Aale, Blankaale genannt, wandern flussabwärts ins Meer und über den offenen Atlantik zurück in die Sargasso-See, wo sie laichen. Nur wenn sie dort ankommen, ist die nächste Generation des Aals gesichert. Glasaale werden nach Angaben der Bundesregierung derzeit zu etwa 45 % nach Asien exportiert, 20 % werden als marinierte Fischdelikatesse in Spanien und Frankreich direkt verzehrt, 20 % stehen für Besatzzwecke in europäischen Gewässern zur Verfügung und nur 15 % Jungaale wandern in Europa natürlich in die Gewässer ein. Die EU-Verordnung verfolgt das Ziel, dass bis 2013 etwa 60% des Glasaalaufkommens für die Wiederauffüllung der Bestände in europäischen Gewässern zur Verfügung stehen. Das entspricht nahezu einer Verdoppelung der jetzt erreichten Quote. Das Ziel ist ehrgeizig. Es ist allerdings fraglich, ob es erreicht werden kann. Die hohen Preise für Glasaale, ein Kilogramm kostet etwa 1000 €, bewirken dass der Besatz nur in wenigen Gewässern wirtschaftlich ist. Pressemitteilung Seite 2 von 3 vom 28.05.2009 Der starke Fraßdruck auf die Aale durch Kormorane vermindert die Wirtschaftlichkeit von Besatzmaßnahmen. Nur eine Verminderung des Exports und des Verzehrs von Glasaalen kann daher die Bestandssituation verbessern. Es reicht nicht, bis 2013 zu warten. Der zweite wichtige Grund für den starken Rückgang der Aalbestände ist die hohe Verlustrate der Blankaale beim Aalabstieg. Etwa 50% der Gewässer in der EU sind verbaut. Nach Auskunft der Bundesregierung gibt es 7700 Wasserkraftanlagen, mit denen in Fließgewässern elektrischer Strom erzeugt wird. Die Wanderung der Aale durch die Wasserkraftanlagen führt zu hohen Verlusten. In Beantwortung einer früheren Anfrage hat die Bundesregierung die Verlustrate mit 30% angegeben (Drucksache 15/2929). Untersuchungen am Main zeigen ebenfalls, dass etwa 30% der Blankaale in Wasserkraftanlagen getötet und zusätzlich die Hälfte der überlebenden Aale verletzt werden. Durch die summarische Wirkung von hintereinander folgenden Wasserkraftanlagen fällt die Überlebensrate abwandernder Blankaale statistisch gesehen bereits nach der dritten Wasserkraftanlage unter den von der EU geforderten Wert von 40 %. Nach der siebten Anlage beträgt der Wert nur noch 10 %. Die Vermutung der Bundesregierung, dass in Deutschland der von der EU geforderte Wert erzielt wird, dass 40% der Blankaale das Meer erreichen, ist somit völlig unrealistisch. Die Einschätzung der Bundesregierung ist hinsichtlich der Wirkung von Wasserkraftanlagen auf die Fischfauna und speziell den Aal ebenfalls geschönt. Sie verweist auf grobe Schätzwerte nach denen etwa 390 t Aal in Deutschland jährlich durch technische Anlagen, wie z. B. Kühlwasserentnahmen und Wasserkraftanlagen getötet werden. Fischereiexperten kommen zu anderen Ergebnissen. Allein an einer 700 kW-Wasserkraftanlage an der Lahn werden zum Beispiel pro Nacht in Zeiten durchschnittlicher Aal-Abwanderungsaktivität 100-150 kg Blankaale getötet, so eine Mitteilung des Verbandes Hessischer Fischer. Die Abwanderungszeit erstreckt sich über einen Zeitraum von 15 bis 20 Tagen im Jahr, so dass allein in dieser Anlage 2-3 t Aale in einem Jahr getötet werden. Nach Aussage der Bundesregierung gibt es 355 Wasserkraftanlagen mit einer Leistung von über 1 MW. Der von der Bundesregierung angeführte Aalverlust in diesen Anlagen ist also mindestens zwei bis dreimal so hoch, realistisch muss mit Verlusten von etwa 2000 t ausgegangen werden. Zum Vergleich: In 2007 wurden laut „Report of the 2008 Session of the Joint EIFAC/ICES Working Group on Eels“ von den europäischen Berufsfischer 2500 t Aal gefangen. Die Stromerzeugung in Wasserkraftanlagen wird in Deutschland durch das Energieeinspeisungsgesetz (EEG) gefördert. Wasserkraftanlagen in den Unterläufen großer Ströme wie Elbe oder Weser müssen von allen Blankaalen der Gebietseinheit passiert werden. Dort sind Wasserkraftanlagen nur zu rechtfertigen, wenn durch Schutzmaßnahmen wie Fischtreppen, Fischpässe, Rechen zum Versperren des Turbinenkanals ein sehr hoher Anteil die Anlagen lebend und unverletzt passieren kann. 90% des Stroms wird in den 355 Anlagen mit einer Leistung von mehr als 1 MW produziert, die restlichen 10 % in 7 345 Kleinanlagen. Angesichts des extrem geringen Beitrags dieser Anlagen zur Energieversorgung und den hohen ökologischen Schäden durch Störung des Gewässerkontinuums, Artenschwund bei Fließgewässerarten etc. sollte das EEG hinsichtlich der Förderung von Strom aus Wasserkraftanlagen novelliert werden. Es darf kein weiterer Anreiz zum Aus- und Neubau dieser kleinen Wasserkraftanlagen geschaffen werden. Die Minderung der Mortalität der Blankaale muss im Interesse des Artenschutzes Priorität gegenüber der Stromproduktion in kleinen Wasserkraftanlagen erhalten. Es ist unglaubwürdig, den Artenrückgang zu beklagen und ihn gleichzeitig über das EEG zu fördern. Von den Wasserkraftanlagen sind in ähnlicher Weise andere wandernde Fischarten wie Lachs, Stör, Flussneunauge und andere Wasserlebewesen betroffen. Die Liste der Institute, in denen Fischereiforschung betrieben wird und der Projekte, die sie bearbeiten, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass der Rückgang der Fischereiforschung in den letzten Jahren dramatisch war. Es darf kein weiterer Abbau von Forschungskapazitäten erfolgen. Da fischereiliche Probleme europaweit bestehen, die wandernden Fischarten an Grenzen nicht haltmachen, sollte eine Strategie zur Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit und zur Einbindung deutscher Forschungseinrichtungen in EUForschungsprojekte bei ausreichender finanzieller und personeller Ausstattung entwickelt werden.
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