Der Chef des Münchner Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, hält Steuersenkungen, wie sie Union und FDP den Bürgern in Aussicht stellen, für unrealistisch. Infolge der Krise seien nicht Entlastungen, sondern vielmehr Steuererhöhungen nötig, sagte Sinn gegenüber WELT ONLINE. Um die Staatsschulden bezahlen zu können, „werden wir die Steuern erhöhen und die Staatsausgaben im Sozialbereich reduzieren müssen“, sagte der Ökonom. „Auf jeden Fall werden die Deutschen den Gürtel enger schnallen müssen.“
Länderregierungschefs der Union sind sich weiter uneins über die künftige Steuerpolitik. Während Saarlands Ministerpräsident Peter Müller eine Erhöhung des Grundfreibetrages nach der Bundestagswahl forderte, sprach sich sein sachsen-anhaltischer Kollege Wolfgang Böhmer (beide CDU) gegen Steuersenkungen aus.
Müller sagte dem „Hamburger Abendblatt“: „Wir brauchen das Steuersignal nach der Bundestagswahl. Dazu gehört der Ausgleich der kalten Progression und die Erhöhung des Grundfreibetrages.“ Die sogenannte kalte Progression führt zu einer höheren Steuerlast, wenn eine Gehaltserhöhung nur die Inflation ausgleicht und die Einkommenssteuersätze nicht der Inflationsrate angepasst werden.
Böhmer sagte, er halte Steuersenkungen erst dann für möglich „wenn es wieder Wachstum gibt und die Steuersenkungen nicht durch neue Schulden finanziert werden müssen“. Zugleich bestätigte Böhmer in der „Mitteldeutschen Zeitung“, dass es beim Treffen der Unions-Ministerpräsidenten mit Merkel am Donnerstagabend zu einer Debatte zwischen ihm und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Steuerpolitik gekommen sei. Er fügte jedoch hinzu: „Ich würde eine sachliche Diskussion nicht als Auseinandersetzung bezeichnen.“
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) erteilte Steuersenkungsplänen anderer Parteien erneut eine klare Absage. „Mit den jetzt durch die globale Krise verursachten Mindereinnahmen für alle öffentlichen Haushalte ist jeder Spielraum für zusätzliche Ausgabewünsche und vollmundige Steuersenkungen dahin“, sagte Steinbrück der „Thüringer Allgemeinen“. Es sei „grotesk“, dass die FDP die steigende Verschuldung kritisiere und einen Halbsatz später noch mehr Schulden in zweistelliger Milliardenhöhe für Steuersenkungen fordere.
Die FDP wird nach den Worten ihres Steuerexperten Hermann Otto Solms bei einer Regierungsbeteiligung im Bund nicht auf einer sofortigen Umsetzung ihres Steuerkonzepts bestehen. Zwar mache die Finanz- und Wirtschaftskrise gerade die Umsetzung des Konzepts notwendig, aber diese wolle man in Stufen verwirklichen, sagte Solms am Sonntag in der ARD-Sondersendung „Bericht vom Parteitag“.